Hannah und der kleine Setter mit dem schwarzen Fleck

 

 

                               

     

 

 

 

Stille Nacht, heilige Nacht

 

Nur ein Mädchen einsam wacht

 

 

 

Ein Tag vor Heilig Abend, ein verregneter Abend in einem schmucken süddeutschen Dorf.

 

- Der Verfasser hatte  auch kurz  in Erwägung gezogen, die Geschichte in ein Reihenhaus ins Ruhrgebiet oder  sogar nach Oberbayern zu verlegen. Die Protagonisten wären dieselben geblieben.-

 

Eine große, geschmückte Terrasse mit farbigen Lichtern, Engeln und bunten Weihnachtsmännern an der Hauswand.

 

Advent,  Tage der Besinnung, der Kerzen und der Erwartung der Geburt des Christkinds.

 

Verdutzt  standen fünf  Hunde im Zwinger  am Rande des Grundstücks  vor ihren leeren Futterschüsseln und wunderten sich über das Lichter-Spektakel, das sie nicht einordnen konnten und sie warteten und warteten, doch die Futternäpfe blieben leer.

 

Bei dem regen Treiben hatte man sie einfach vergessen, denn im Wintergarten des noblen Einfamilienhauses wurde der Christbaum geschmückt. Eine prächtige Tanne, die bis zur Decke ragte, eingehüllt in Lametta  und bestückt mit hunderten bunten künstlichen Kerzen, sollte Wohlstand, Selbstbewusstsein und Luxus ausstrahlen.

 

Der Adventskranz aus Kunststoff auf dem Wohnzimmertisch sah fast echt aus, aber die vier blutroten Kerzen aus dem Vorjahr wollten einfach nicht brennen.

 

Die Tochter des Hauses trällerte Weihnachtslieder und assistierte ihrem Vater, der stolz den Fasanenhahn rupfte, der ihm vor die Flinte gekommen war. Bunte Federn schwebten durch die offene Küchentür in die kalte Winternacht und verloren sich im Nichts.

 

Etwas schwerfällig wanderte eine Setterhündin durch den Garten. Sie sah müde aus. Bei Tageslicht konnte man sehen, dass Lefzen und Schnauze bereits mit einem grauen Schimmer überzogen waren.

 

In einem bestimmten Alter, wenn Hunde dann fast zu Menschen werden, strahlen sie Würde aus; sie kennen  uns besser als wir uns selbst und sie verdienen als Partner behandelt zu werden.

 

Die Hündin hatte sich aus dem Holzverschlag am Ende des Zwingers befreit und war auf der Suche nach einem sicheren Ort für die Geburt ihrer Welpen.

 

Getrieben von innerer Unruhe durchstreifte  sie den Garten.

 

Als sie die Straßenseite des Grundstücks erreichte, hielt sie inne und lauschte. Eine vertraute Stimme rief ihren Namen und ein dünner Arm schob  sich durch den Zaun aus Schmiedeeisen. Eine  warme Hand wischte die Regentropfen von der Schnauze des Hundes und verharrte lange auf dem oberen Teil des Kopfes, so als wollte sie etwas Wärme spenden.

 

Die leisen Worte der Kinderstimme schienen wie ein Zauber zu wirken.  Die Hündin presste ihren Kopf an die kalten Gitterstäbe und ihre Rute bewegte sich im Takt. Für einen Augenblick war sie glücklich.

 

Doch dann öffnet sich die Haustür und eine Frau, die dabei war, die letzten Geschenke aus dem Kofferraum ihres Wagens ins Haus zu tragen, blieb bei dem Anblick dieser zärtlichen Geste für einen Augenblick verblüfft  vor der Haustür stehen.

 

Hier sah sie das, wonach sie sich ein ganzes Leben sehnte: Verbundenheit und innige Zuneigung.

 

Doch die Realität holte sie schnell wieder ein und verärgert rief sie ihrem Mann zu: „Dieses dusselige Mädchen von den neuen Nachbarn schleicht wieder um unser Haus und macht die Hunde verrückt, tu endlich etwas“.

 

„Lass sie einfach in Ruhe, sie liebt Hunde und putzt täglich zwei Mal den Zwinger. Wenn das ihre Akademikereltern wüssten, würde es bestimmt Ärger geben. Übrigens sehe ich niemanden“ erwiderte er und  kehrte in die Küche zurück, um die blutverschmierten Federn von seinen Händen zu waschen.

 

Das Mädchen Hannah war auch wieder verschwunden und die Hündin Ria setzte die Suche nach einer Zufluchtsstätte für ihre Welpen fort.

 

Geprägt vom Instinkt ihrer Urahnen,  den Wölfen, versuchte  sie unter einer hohen Tanne eine Höhle zu graben. Sie stieß ihre Nase in den feuchten Boden, doch ihre Pfoten verfingen sich im Wurzelwerk und sie gab auf.

 

Sie sah das rege Treiben im hell erleuchteten Wintergarten und presste neugierig ihre lehmige Schnauze an die Glaswand. Als die Frau das sah, bekam sie einen Tobsuchtsanfall. Sie scheuchte die Hündin in die Holzhütte zurück und schob den Riegel vor.

 

Hannah  ging traurig nach Hause und legte sich in Gedanken versunken auf die Couch. Später kramte sie ihr Smartphone aus der Jackentasche, schmierte sich ein Butterbrot und sah  beim Essen  sich die Fotos der letzten Wochen an, denn der Mann hatte nichts dagegen, wenn sie beim Reinemachen des Zwingers die Hunde  fotografierte. „Hauptsache danach ist alles sauber“, sagte er.

 

Sie  scrollte die Fotos vor und zurück und hielt jedes Mal, wenn sie auf ein Bild der tragenden Hündin Ria stieß, inne und flüsterte: „Ich denke ganz fest an dich.“

 

Ihre abendlichen Streifzüge durch das festlich geschmückte Dorf,  aber auch ihre Rückkehr fielen niemandem auf. Die Mutter war wie jeden Abend bei ihrem Aktivistinnentreffen und der Vater spielte wie jeden Abend stundenlang Klavier. „Wieder Beethoven und wieder klopft das Schicksal an die Tür“, dachte  Hannah und schlief auf der Couch ein.

 

Bettelnd standen die Hunde am nächsten Morgen hinter den Gitterstäben ihres Zwingers, als der Mann den Garten betrat.

 

Als er sich mit einem Futtersack näherte, heulten sie alle auf einmal los.

 

„Stellt euch nicht so an, der Wolf frisst auch nur einmal in der Woche, wenn er Glück hat“, sagte er mürrisch und füllte die Näpfe. Oder wollte er vielleicht doch nur sein schlechtes Gewissen überspielen?

 

Am nächsten Nachmittag  brachte er einen Ballen Stroh vom Feld und breitete es in der Holzhütte aus.

 

Die tragende Hündin stand dabei und hechelte, da die Senkwehen eigesetzt hatten.

 

Er war in Plauderlaune: „Streng dich an und gib dein Bestes, du kennst meine Vorgaben. Über zehn Welpen müssen es sein. Leiste deinen Beitrag zum neuen Geländewagen. Du siehst, ich gebe mir Mühe und bastele dir ein fürstliches Bett. Man sagt, eure Vorfahren in Irland haben ihre Welpen in Erdkuhlen zur Welt gebracht. Im Stall von Bethlehem gab es übrigens auch nur ein Bett aus Stroh“.

 

Und da die vorweihnachtliche Stimmung auch bei ihm Wirkung zeigte, ging er in den Keller, kramte einen alten Kassettenrekorder aus einer verstaubten Ecke, legte eine Weihnachtskassette ein und war überrascht,  dass der Kasten noch funktionierte:

 

„Der Heilig Abend gehört der Familie, aber deine kostbaren Kinder sollen bei Weihnachtsklängen geboren werden, solange die Batterien halten. Ich sehe morgen nach dir“, sagte er und stellte noch eine Schüssel Wasser und Napf mit Trockenfutter in die Holzhütte.

 

Auch bei Hannas Familie  wurde es fast festlich. Ihr Vater schnitt am Heilig Abend im Garten  einige Tannenzweige und stellte sie in eine Vase,  die Mutter baute ein Krippenspiel, das sie als Kind von ihren Eltern geschenkt bekam, auf dem  Fensterbrett auf, schob eine Tiefkühlpizza in den Herd und stellte einen Teller mit Plätzchen auf den Tisch.

 

Hannah saß lange am Fenster und starrte auf die beleuchteten  Dekorationen auf den Hauswänden der  Nachbarn: Umrisse von dicken Weihnachtsmännern,  von putzigen Rehen mit zu großen Ohren und vielen, vielen Sterne aus leuchtendem Kunststoff.

 

Aus der Ferne ertönte der Klang einer Glocke, die zur Christmette rief. Plötzlich wurde es auf den Gehsteigen lebendig und Hannah sah viele kleine und große Silhouetten, die sich alle in  Richtung Kirche bewegten.

 

Sie nahm ihren Mantel und verließ das Haus. Ihre Blicke suchten den Zaun des Nachbarhauses ab. Sie hatte das Bedürfnis etwas Warmes, Lebendiges zu berühren, eine feuchte Hundeschnauze, die glatte Innenfläche eines  dieser faltigen Ohren, oder einfach nur den Geruch des feuchten Felles einzuatmen.

 

Doch es war keiner der Setter zu sehen. Leise, fast flüsternd, rief sie Rias Namen - vergebens. Dieses Mal waren die Zwinger fest verschlossen.   Schließlich könnten die Hunde aus Langeweile einen Passanten anbellen, um ihn zum Spielen aufzufordern und so die heilige Ruhe des Abends stören.

 

Hannah war im Begriff nach Hause zurückzukehren, sie lehnte sich traurig an das kalte Tor, sie wollte noch einen Augenblick den Hunden etwas nahe sein.

 

Plötzlich gab das Torelement nach und öffnete sich wie von Zauberhand. Die Frau  hatte wohl bei der Auswahl ihrer Garderobe Schwierigkeiten und da  Eile geboten war und man nicht als Nachzügler beim Gottesdienst eintreffen wollte, hatte sie  in der Hektik vergessen das Tor abzuschließen.

 

Hannah kannte den Weg vom Tor zu den spärlichen Behausungen der Hunde und ohne darüber nachzudenken, schlug sie ihn ein.

 

Sie schob den Riegel zum Holzverschlag zur Seite und stand vor einer stark hechelnden Ria. Die Lichterdekoration am Wintergarten und Gartenpavillon sorgten für genügend Licht im Inneren des Raums.

 

Zuerst suchte sie die Off-Taste des Kassettenrekorders, um die kitschige Beschallung abzustellen, dann setzte sie sich in eine Ecke des Holzkastens, um von außen nicht gesehen zu werden und nahm Ria ganz fest in den Arm. 

 

Die Hündin stand noch immer hechelnd vor Hannah und presste ihren Kopf und Hals fest an das  Mädchen.

 

Und plötzlich ging ein Beben durch ihren  Körper, sie hörte auf zu hecheln und vollführte im Stroh einige Drehbewegungen,  so als wollte sie die trockenen Halme zu einem weichen Nest formen. Sie legte sich in die Vertiefung und  begann zu pressen. Wellenlinien breiteten sich über ihren Körper aus, dann hielt sie inne und Hannah hörte ein leises Fiepen. 

 

Mit der Lampe ihres Smartphones suchte sie das Stroh ab, ihre Hände berührten ein kleines, feuchtes Knäuel. Es war warm und voller Leben.

 

Instinktiv legte Hannah das neugeborene Setterkind an die Zitzen der Mutter.  Ria schleckte es unentwegt mit ihrer elastischen Zunge, um seinen Kreislauf anzuregen. Das Kleine schmatzte vor sich hin und als Hannah ihm vorsichtig mit der Hand über den Rücken strich, merkte sie, dass es  fast trocken war.

 

Vorsichtig hob Hannah den kleinen Welpen hoch und jetzt verstand sie auch, warum Weihnachten die Zeit der Wunder ist, denn dieses kleine Wesen, das sie in der Hand hielt, war ein Wunder.

 

Das Mädchen war überwältigt von diesem Glücksgefühl und Tränen flossen über ihre Wangen.

 

Die Christmette war längst zu Ende, doch die festlichen Klänge fanden noch lange durch die kalte Winterluft ihren Weg zu der Holzhütte: „Stille Nacht, heilige Nacht, einsam wacht ...“

 

                                         

Hannah summte, ohne es zu merken, die berührende Melodie mit,  dann schlief sie erschöpft ein.

 

Für das Ehepaar schien das Mädchen nicht zu existieren. Beide starrten auf die fünf niedlichen Welpen, die eifrig die Zitzen der Mutter „bearbeiteten“. Ria schleckte sie alle der Reihe nach ab. Auch sie verstand scheinbar die Aufregung der Menschen nicht.

 

Hannah wagte zu fragen, was passiert sei.

 

Verzweifelt zeigte der Mann auf einen Welpen, der sich an einer der hinteren Zitze der Mutter zu schaffen machte. Es war ein kleiner kräftiger Rüde. Auf seinem hellbrauen Fell war an der Halspartie ein großer schwarzer Fleck zu sehen.

 

„Sieht doch niedlich aus“, meinte Hannah.

 

Herrn Glotz blieb fast die Luft weg. Polternd verließ er den Raum. Die Frau nahm sich Hannah ins Gebet:

 

„Wenn das jemand erfährt, ist unser Ruf ruiniert. Hier muss der schwarzer Köter der Nachbarn am Werk gewesen sein. Hast du ihn herein gelassen? “ fuhr sie Hannah an.

 

Diese verstand die Aufregung der beiden immer noch nicht:

 

„Mal etwas anderes, nicht so ein Einheitsbraun und es gibt doch auch Welpen mit einem weißen Brustfleck oder einer kleinen weißen Blesse“, erwiderte Hannah.

 

Das war für den Mann, der mit einem Papierbogen wieder zuückkam, zu viel: „Scher dich nach Hause, heute Abend kannst du die Zwinger putzen, ansonsten warst du zum letzten Mal hier“, raunte er Hannah zu.

 

Das Mädchen erkannte, dass es jetzt besser war, den Heimweg anzutreten.

 

Sie suchte ihr Smartphone  und wollte noch schnell den Welpen mit dem schwarzen Fleck fotografieren.

 

„Keine Beweise“ brüllte der Mann und wollte  nach dem Handy des Mädchens greifen, das aber schon außer Reichweite war.

 

Am Tor sah Hannah noch, wie der Mann mit dem Blatt Papier fuchtelte  und seiner Frau stotternd die Zuchtregularien vorlas. Sie hörte nur immer: „Ohne jede Spur von Schwarz“.

 

Obwohl sie sehr müde war, musste sie immer an den kleinen Setter mit dem schwarzen Fleck denken.

 

Zu Hause hatte niemand ihre Abwesenheit gemerkt. Sie schlich in ihr Zimmer und verkroch sich in ihr Bett. Sie genoss so richtig die kuschelige Wärme der Bettdecke und sie schlief auch sofort ein.

 

 

Beim Mittagessen versuchte sie ihren Vater in ein „Fachgespräch“ zu verwickeln. Damit konnte man ihn aus der Reserve locken:

 

„Papa, wie erklärst du  bei deinen  Genetikvorlesungen den Studenten die Vererbung der Haarfarbe? Wir schreiben nach den Ferien eine Klassenarbeit darüber.“

 

Wenn es um Fachwissen ging, war dieser verschlossene Mann nicht zu bremsen und er erklärte seiner Tochter ausführlich, dass die Haarfarbe beim Menschen durch Gene bestimmt wird, die den Anteil an Melanin, das Pigment, das für die Färbung verantwortlich ist, regulieren. Je mehr Melanin, desto dunkler die Haarfarbe. Und „dunkel“ dominiert über „hell“. Wenn also zwei dunkelhaarige Menschen aufhellende Genanteile mit im Erbgut haben, könne es durchaus sein, dass die Kinder blondes Haar haben.

 

„Und wie sieht das mit der Fellfarbe bei Tieren aus“, fragte Hannah weiter und der Vater legte los:

 

„Im Prinzip ist das genauso. Nur kommen hier noch Gene hinzu, die Einfarbigkeit, gescheckt, trikolor, gepunktet oder gestreift regeln. Das ist beim Menschen etwas einfacher, da kommt nur noch „glatt“ bzw. „kraus/gewellt“ als Merkmal hinzu.

 

„Und gibt es hier auch Ausnahmen?“,  bohrte sie weiter.

 

Die Mutter „roch den Braten“ und etwas verärgert warf sie ein: „Es geht doch mal wieder um die Hunde von diesen Neureichen im Haus gegenüber, halte deinem Vater nicht zum Narren“, fügte sie noch hinzu und verschwand.

 

Unbeirrt  fuhr der Vater in seiner Rolle als Professor fort:

 

„Ja, diese Ausnahmen nennt man Mutationen. Es kann zum Beispiel sein, dass durch solch einen Defekt kein Melanin gebildet wird, das nennt man dann Albinismus. Und manchmal bildet sich auch zu viel Melanin, dann entstehen ganz dunkle Bereiche, oft aber nur kleine Flecken“

 

Nach diesem Exkurs lächelte Hannah dankbar und dachte nur: “Wie blöd können Menschen doch sein, die ganze Aufregung nur aufgrund einer verrückten Laune der Natur, die auch noch lustig aussieht“. Denn der kleine Welpe mit dem schwarzen Fleck sah schon recht putzig aus.

 

Als sie am Nachmittag nach Ria sehen wollte, traf sie Herrn Glotz im Garten.

 

Sie versuchte, ihm das Zustandekommen des schwarzen Flecks bei dem Welpen aus wissenschaftlicher Sicht zu erklären.

 

Herr Glotz hörte mit offenem Mund zu und schien kein Wort zu verstehen.

 

„Eine „Mustatation“? Alles Blödsinn, es war der Labrador der Nachbarn und dabei sind es nur fünf Welpen, wieder ein Verlustgeschäft. Wenn es mehr wären, würde ich ihn entsorgen. Ich habe bereits meinen Tierarzt angerufen. Der hat schon so manches Unerwünschte wegoperiert. Er meinte nur, ich soll in acht Wochen mit dem Welpen vorbeikommen, jetzt wäre er noch zu klein“, sagte er stotternd vor Zorn und verschwand.

 

Hannah verzog sich in die Holzbaracke, streichelte zuerst Ria ganz ausgiebig, dann fuhr sie dem kleinen Welpen liebevoll mit dem Zeigefinger über den schwarzen Fleck und sagte:

 

„Mir gefällst du so, ich würde dich Black nennen“.

 

Da Herr und Frau Glotz sich unbeobachtet fühlten, berieten sie sich auf der Terrasse über die weitere Vorgehensweise:  „Der  Welpe muss weg, bevor die ersten Welpenkäufer kommen, wenn sich das herumspricht, kommt es zum Eklat und du kennst die Lästermäuler von der Konkurrenz“.

 

Seine Frau stimmte ihm zu und meinte nur: „Doch nicht heute an Weihnachten, dem Fest der Liebe. Und pass auf, dass die Kinder nichts mitbekommen.“

 

Hannah hatte alles mitbekommen und geriet in Panik. Als Herr und Frau Glotz wieder im Haus waren, lief sie nach Hause. Sie wollte sich mit ihren Eltern beraten, doch diese machten nach langer Zeit einmal wieder zusammen einen Spaziergang durch das Dorf. Sie heulte los und verschwand in ihrem Zimmer.

 

Sie saß am Fenster und weinte. Ihr Blick streifte in die Ferne und sie sah, wie plötzlich die ersten Schneeflocken durch die Luft wirbelten. Und es wurden immer mehr. Nach einiger Zeit waren die Dächer der Nachbarhäuser und auch die Straßen mit einem weißen Flaum bedeckt:

 

„Es könnte so schön sein“, dachte sie und wieder fiel ihr der kleine Setterwelpe mit dem  schwarzen Fleck ein und sie heulte los. Plötzlich richteten sich ihre Augen auf den Umschlag, den sie, übrigens wie jedes Jahr von ihrer Oma aus Hamburg erhielt und der auch dieses Jahr eine Weihnachtskarte und einige Geldscheine enthielt.

 

Sie stutzte, hielt einen Augenblick inne, dann  öffnete sie das Couvert, entnahm das Geld, schnappte sich ihren Mantel und überquerte die Straße.

 

Als Herr Glotz sie sah, sagte er: „Gut, dass du kommst, ich hatte keine Zeit die Zwinger sauber zu machen, schließlich ist heute Weihnachten.“

 

Hannah überhörte seine Worte, sie nahm den kleinen Welpen mit dem schwarzen Fleck auf den Arm, streichelte Ria über den Kopf und hielt Herrn Glotz den 100 Euro Schein hin: „Mehr habe ich nicht.“

 

Dieser begann  zu lachen: „Der wird nicht überleben ohne Mutter“, sagte er.

 

„Lassen Sie das meine Sorge sein“, sagte Hannah.

 

Doch plötzlich gefiel ihm dieser Gedanke und er grinste vor sich hin. Er griff nach dem Geldschein und freute sich, dass alle Probleme gelöst schienen.

 

Er ging zum Haus zurück, um bei seiner Frau mit seiner geschäftstüchtigen Lösung zu prahlen. Im Gehen rief er noch: „Aber morgen wird geputzt“.

 

Doch das hörte Hannah nicht mehr, denn sie lief  bereits über die Straße mit dem kleinen Black unter dem Mantel. Schneeflocken fielen auf ihre vor Aufregung geröteten Wangen. Sie spürte sie nicht, sie sah auch die Kinder nicht, die sich Schneebälle zuwarfen. Sie war glücklich.

 

Zu Hause angekommen, rannte sie durch das Haus auf der Suche nach einer Wärmflasche. Als sie diese endlich gefunden hatte, legte sie den Welpen kurz auf ein flauschiges Handtuch, füllte die Kunststoffflasche mit warmem Wasser und schob sie darunter. Der Welpe fiepte vor sich hin.

 

Verblüfft standen plötzlich Hannahs Eltern, noch in ihren Mänteln, an der Tür des Wohnzimmers und trauten ihren Augen nicht.

 

Ihr Vater fand endlich seine Sprache wieder. „Du hast das Tier geklaut, bring es schleunigst wieder zurück“, fuhr er seine Tochter an.

 

„Nein, ich habe den Kleinen gekauft mit Omas Weihnachtsgeld, er heißt übrigens Black “, entgegnete Hannah. Auch die Mutter mischte sich ein: „Kind, du musst das Würmchen ins Tierheim bringen, die sind bestimmt in der Lage, es zu versorgen.“

 

An Hannahs Blick konnte ihr Vater erkennen, dass der Rat der Mutter bestimmt der falsche war.

 

Er ergriff seinen Mantel, den er bereits abgelegt hatte und murmelte etwas von Notapotheke und Babymilch und verschwand.

 

Nach einer halben Stunde kam er zurück mit einer Babyflasche und einer Packung Trockenmilch in der Hand. Sein blasses Gesicht hatte Farbe bekommen und seine Augen strahlten: „Als Kinder haben wir verwaiste Kätzchen und einmal sogar einen Igel  großgezogen. Das wird mit dem Welpen ebenfalls klappen“, sagte er und seine Worte klangen überzeugend.

 

Hannah war überrascht, über seine Kindheit hatte ihr Vater nie gesprochen. Sie hatte immer die Vorstellung, dass es außerhalb von  Biologie und Musik für ihn nichts gab.

 

Die Mutter ließ ihrem Unmut über Herrn Glotz freien Lauf: „Halsabschneider, Betrüger, Tierquäler, man müsste ihm den Tierschutz auf den Hals hetzen.“

 

Auf einmal hielt sie inne, ihr Finger fuhr  ganz sanft über den Bauch des Welpen und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. 

 

Gemeinsam bereiteten Hannahs Eltern das erste Fläschchen für den kleinen Black zu. Dieser genoss die warme Milch und er schmatzte zufrieden.

 

Hannahs Mutter sah dabei ihren Mann an und Erinnerungen  kamen auf: „Weißt du noch, wie du für Hannah das erste Fläschchen  zubereitet hast, weil ich nach der Geburt zu geschwächt war und meine Milch nicht ausreichte, um die Kleine satt zu bekommen?"

 

Lächelnd antwortete der Vater: „Wie könnte ich das vergessen.“

 

Er war etwas verlegen, schnell ging er in den Abstellraum und kam mit einem  Wärmekissen zurück. Sie betteten den kleinen Black auf das Kissen und der Vater überprüfte mit seiner Genauigkeit als Wissenschaftler die eingestellte Temperatur. Er schaltete noch einen Thermostat dazwischen, um das Kissen vor Überhitzung zu schützen.

 

Jetzt saßen sie alle schweigend zusammen auf der Couch und genossen den Abend. Der Vater öffnete eine Flasche Wein und füllte drei Gläser. Hannah war überrascht, als er ihr auch ein Glas anbot. Er sah ihre Verwunderung und meinte nur: „Du musst es ja nicht leer trinken. Lasst uns auf Weihnachten anstoßen und auf dieses kleine Christkind mit dem schwarzen Fleck.“ 

 

Später nahm Hannah den kleinen Black samt  Ausrüstung mit in ihr Zimmer, doch an Schlafen war nicht zu denken. Um zwei Uhr morgens gab sie ihm noch ein zweites Fläschchen und massierte seinen Bauch, so wie Ria mit ihrer ungestümen Zunge stets unermüdlich die Welpen traktierte, vielleicht nur etwas unsicher, aber dennoch schien es der kleine Black zu genießen.

 

Gegen Morgen schlief sie endlich ein.

 

Sie wurde von  ihrem Smartphone geweckt und sie las folgende Nachricht:

 

„Hallo Hannah, unerwartet habe ich eine Einladung zu einer Jagd in Südafrika erhalten. Wir sind bereits auf dem Flughafen in Frankfurt. Meine Frau möchte auch dieses herrliche Land kennen lernen. Unsere Tochter freut sich schon auf den Krüger Park. Um die Hunde zuhause wird sich unser Nachbar Herr Kraus kümmern.

 

Du wirst ihm bestimmt helfen? Schließlich habe ich dir ja den Welpen geschenkt und du liebst doch angeblich Hunde. Ein Taschengeld könnte ich auch noch locker machen. Viel Spaß, Bruno Glotz“ 

 

(Anmerkung des Erzählers: Die  Nachricht wurde grammatikalisch und orthographisch bearbeitet, um sie den Lesern verständlich zu machen.)

 

Wütend rannte Hannah ins Wohnzimmer: „Von wegen geschenkt, gekauft habe ich Black von Omas Weihnachtsgeld!“ 

 

Ihre Eltern saßen beim Frühstück und sie verstanden ihre Aufregung nicht.  Als sie jedoch Hannahs Gesichtsausdruck sahen, fürchteten sie es gäbe Probleme mit dem kleinen Black.

 

Sie hielt ihnen das Smartphone  hin. Auch die Eltern waren sprachlos, als sie die Nachricht gelesen hatten.    

 

Dann sagte die Mutter: „Ich habe in den drei  nächsten Wochen Urlaub und könnte mich um den kleinen Black kümmern, es würde mir sogar Spaß machen.“

 

Der Vater meinte, dass er jetzt in der vorlesungsfreien Zeit auch mal „kürzer treten könnte“ und er natürlich auch dabei sei.

 

Beide rieten Hannah, sich um die verwaisten Hunde zu kümmern, da  Herr Kraus zwar ein lieber, aber betagter Herr sei, den alle im Ort gut kannten, da er  sich durch Gelegenheitsjobs seine kleine Rente aufbesserte, mit der gesamten Hundeschar und den Welpen von Herrn Glotz  aber bestimmt nicht zu Recht kommen würde.

 

Hannah trank recht abwesend  ihren Kakao, ein freches Lächeln huschte plötzlich über ihr Gesicht, sie nahm ihren Mantel und verschwand.

 

Der Vater,  der diesen Blick seiner Tochter kannte, ahnte nichts Gutes. Er rief ihr von der Wohnzimmertür noch nach: „Kind mach keinen Blödsinn, tu nichts Unbedachtes.“

 

Bevor die Mutter in Hannahs Zimmer ging, um den kleinen Black zu versorgen, wurde sie nachdenklich: „Unsere Tochter ist, ohne dass wir es merkten, erwachsen geworden und sie übernimmt Verantwortung, wenn unverfrorene Menschen diese von sich weisen. Solchen Züchtern müsste man das Handwerk legen“.

 

Der Vater nickte und meinte nur: „Und dann kämen bestimmt alle Hunde in Tierheim, in eine fremde Umgebung, vielleicht zu fremden Menschen. Wer weiß schon, was gut  ist. Aber Hannah wird für die Tiere da sein. Sie würde jedem Regenwurm beistehen, wenn er Hilfe braucht.“

 

Als Hannah die Straße überquerte, kam Herr Kraus bereits auf sie zu: „Gut Mädchen, dass du mir hilfst, mein Herz macht mir schon seit einigen Tagen zu schaffen und ich kann mich kaum bücken, wahrscheinlich Rheuma, doch ich muss etwas dazu verdienen. Anfang des Jahres erwarten wir wieder eine Mieterhöhung“, sagte er und schloss das Tor auf.

 

Als sie sich den Zwingern näherten, blieb Herr Kraus plötzlich stehen: „Wenn die Tiere nur nicht so stinken würden, die Arbeit macht mir nichts aus“, meinte er.

 

„Das sind nicht die Hunde, das ist ihre Haltung. Sie sind dazu verdammt, die meiste Zeit ihres Lebens auf 12 Quadratmeter zu verbringen und viele haben noch weniger an Fläche zur Verfügung. Die Herren, die die Tierschutzgesetze verfasst haben, sollten das mal ausprobieren“, schimpfte Hannah.

 

Und plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf: „Herr Kraus, ich habe eine Idee: Sie haben doch den Schlüssel zum beheizten Wintergarten. Ich würde die Hunde kräftig mit Schnee abreiben, damit sie nicht mehr riechen, dann kommen alle in den Wintergarten und können auf der Fußbodenheizung schön trocknen.“

 

Für Herrn Kraus roch das nach Arbeit und Hannah sah an  seinem Gesichtsausdruck, dass seine Begeisterung sich in Grenzen hielt, deshalb fuhr sie rasch fort: „Natürlich erledige ich das allein ganz allein und wenn ich einen Rat brauche, weiß ich wo ich Sie finde.“

 

Dieser Gedanke gefiel dem alten Herrn und er meinte, dass dies in Ordnung gehe, da er sowieso noch zur Apotheke müsse. Er überließ Hannah den Schlüssel zum Wintergarten und zum Eingangstor und verschwand.

 

Natürlich durchschaute er das Mädchen, er kannte sie gut genug und in dem kleinen Ort war bekannt, dass sie für Hunde alles tun würde.

 

Er stellte sich das Gesicht von Glotz bei dessen Rückkehr vor. Ihm konnte es egal sein, denn er hatte sich, da er den Geizkragen kannte, von diesem im Vorfeld 300 Euro in bar aushändigen lassen.

 

Als Herr Glotz verschwunden war, rannte Hannah zuerst nach Hause und packte alle Decken, die ihre Mutter für die Altkleidersammlung vorbereitet hatte, in zwei große Tüten.

 

Dazu kamen noch zwei Rollen Küchenpapier und ein Shampoo. So bepackt kehrte sie in den Wintergarten zurück.

 

Sie breitete eine flauschige Decke zwischen zwei Zitronenbäumchen aus, nahm Ria aus dem Holzverschlag und rieb sie kräftig mit Schnee ab, sie füllte etwas Wasser in einen Eimer, der unter dem Wasserhahn im Wintergarten stand, gab etwas Shampoo dazu und säuberte damit Rias Gesäuge. Anschließend legte sie sie auf die Decke und trocknete ihre Zitzen mit Küchenpapier ab. Die Hündin genoss die Prozedur und reckte sich zufrieden auf der warmen Decke.

 

Danach brachte Hannah die Welpen, die jaulend im Stroh herumkrochen, da sie ihre Mutter vermissten,  einzeln unter ihrem Pullover in den Wintergarten. Sie legte sie zu Ria. Die hungrigen Kleinen suchten sofort die Zitzen der Mutter und legten los.

 

Anschließend fütterte sie alle Hunde, öffnete die Tür zum Zwinger und ließ die ganze Meute ausgiebig im Garten spielen. Anfangs waren die beiden Älteren etwas vorsichtig, denn sie wussten,  dass der gepflegte Garten mit den akkurat angelegten Rasenflächen für sie tabu war.

 

Als sie aber dem Spiel der Jüngeren einige Minuten zusahen und merkten, dass  keine Konsequenzen folgten, machten sie tüchtig mit. Sonderbarerweise bereitet das Toben im Schnee Hunden generell eine besondere Freude.

 

Hannah genoss das bunte Treiben. Sie warf einige Schneebälle nach den Übermütigen und rief ihnen zu: „Auch ihr habt ein Recht auf Urlaub, wenn die Menschen durch die Welt reisen, so als könnte man hier keinen Spaß haben.“

 

Und sie hoffte, dass der nächste Schneefall  alle Spuren verwischen würde.

 

Sie ließ die Hunde im Garten, schloss das Tor ab und eilte nach Hause, beflügelt von ihrem neuen Einfall:

 

Den kleinen Black packte sie samt Wärmflasche mit den Worten unter ihren Pullover: „Jetzt besuchen wir deine Mutter. Die bösen Menschen sind weg und ich bin jetzt die Königin aller Hunde“. Eigentlich war diese Aussage mehr für ihre Mutter gedacht, die nicht verstand, was ihre Tochter jetzt schon wieder ausheckte.

 

Diese schüttelte zwar den Kopf, aber eigentlich freute sie sich über die Energie und die Begeisterungsfähigkeit ihrer Tochter, wenn es um Tiere ging.

 

Hannah kehrte in den Wintergarten zurück und legte den kleinen Black an die Zitzen seiner Mutter.  Der Kleine saugte sich sofort an einer „Zapfstelle“ fest und genoss die Muttermilch in vollen Zügen.

 

„Schmeckt wohl besser als die Flasche, aber du müsstest es mir ja nicht so deutlich zeigen, du böser Junge“, scherzte Hannah.

 

Ria erkannte den Welpen sofort wieder und schleckte ihm ausgiebig zuerst den Bauch, dann die kleinen Öhrchen und als er mit dem Trinken fertig war auch die Schnauze.

 

Satt und zufrieden reihte sich Black zwischen seine Geschwister ein und Hannah hätte ihn kaum wiedererkannt, wenn da nicht der kleine schwarze Fleck am Hals gewesen wäre, der ihn für sie so einzigartig machte.

 

„Jetzt müssten auch die Bedenken ihres Vater, dass der Kleine nicht genug von der so wichtigen Muttermilch der ersten Tage mit all den wichtigen Abwehrstoffen zu sich nehmen würde, ausgeräumt sein, dachte Hannah.

 

Im Wintergarten war es angenehm warm und bei einigen  Zitrusbäumchen öffneten sich bereits die Knospen. Ihr Duft vermischte sich mit dem der gepflegten, sauberen  Welpen.

 

Zufrieden streckte sich Hannah auf der Decke neben Ria und den Welpen aus und schlief ein.

 

Sie wurde von einem Klopfen an der Glasscheibe geweckt.

 

Hannah schreckte hoch, ihr erster Gedanke war, dass Familie Glotz frühzeitig zurückgekehrt sei. Sie atmete auf, als sie das Gesicht von Herrn Kraus sah: „Mädchen, ich will dir ein bisschen helfen, den „Saustall“ aufzuräumen.“

 

Und schon legten sie los. Sie nahmen die anderen fünf Hunde aus dem Zwinger, ließen sie einige Minuten im Schnee toben, danach wurden auch sie mit Schnee abgerieben. Herr Kraus brachte in einem Eimer warmes Wasser, Hannah gab etwas Shampoo dazu und damit wurden dann die Ohren und der Bauch der Hunde gesäubert.

 

Danach eilte Hannah nach Hause, kam mit einer Schere zurück und sie schnitt alle verfilzten Haarteile aus dem Fell, besonders unter den Ohren sah es schlimm aus.

 

Die Hunde waren nicht mehr wieder zu erkennen. Besonders eine alte Hündin genoss die ausgiebige Fellpflege.

                                                 

 

Normalerweise veräußerte Herr Glotz seine Hündinnen, wenn sie das Zuchtalter überschritten hatten.

 

„Wirtschaftlich nicht mehr rentabel und zusätzlich blockiert sie den Platz einer jungen Hündin“, war stets seine  Argumentation. Doch diese alte Hundedame mit schneeweißem Gesicht war angeblich der einzige Hund, der seiner Frau ans Herz gewachsen war. Deshalb hatte sie das Glück oder das Pech noch hier verweilen zu können.

 

Hannah legte im Wintergarten die restlichen Decken aus und Herr Kraus öffnete die Tür mit der Hoffnung, dass alle Tiere sofort hineinstürmen würden. Doch weit verfehlt. Nur zaghaft näherten sich die Hunde. Sie hatten oft die leidvolle Erfahrung gemacht, dass es für sie verboten war, das „Imperium“ der Menschen zu betreten.

 

Doch Hannahs Zureden half, fast kriechend bewegten sie sich vorwärts und jeder fand schließlich seinen Platz auf einer Decke.

 

Nur Ria war etwas aufgeregt, sie richtete sich auf, um ihre Welpen gegen die „Eindringlinge“ zu beschützen. Als sie aber merkte, dass alle friedlich waren, ging sie weiter ihrer Hauptbeschäftigung, der „Welpenpflege“, nach.

 

Hannah zeigte Herrn Kraus ihren Black: „Von meinem Weihnachtsgeld gekauft“, sagte sie stolz.

 

Herr Kraus wollte ihr den Spaß nicht verderben und bemerkte  nur, dass der schwarze Fleck am Hals ganz lustig aussehe, insgeheim dachte er aber, dass Hannah von dem Schlitzohr Glotz hereingelegt wurde.

 

Nach der Fütterung machten sich beide auf den Heimweg. Herr Kraus konnte es kaum erwarten, seiner Frau über den aufregenden Nachmittag zu berichten.

 

Hannah schnappte sich den kleinen Black, steckte ihn wieder unter den Pullover und erklärte dem Kleinen, der durch die Wärme sofort einschlief, dass der Besuch bei der Mama nun zu Ende sei und dass man am nächsten Tag wieder kommen wolle.

 

Hannahs Eltern warteten bereits mit dem Abendbrot und Hannah griff ordentlich zu, denn Arbeit macht hungrig.

 

Nach dem Abendessen bereitete Hannahs Mutter noch eine Flasche für den kleinen Rabauken vor: „Falls er in der Nacht aufwacht und wieder so jämmerlich losheult“, meinte sie nur.

 

Hannahs Vater schielte einige Male zu seinem Klavier, doch er wusste, dass er den Kleinen mit seiner Musik aufwecken würde, also  verzichtete er auf sein Klavierspiel.

 

Danach saßen sie alle drei um die kleine Kiste herum, in die sie Black gebetet hatten und genossen den Abend.

 

Als Hannah am Morgen aufstand, war ihre Mutter schon in die Stadt gefahren, um Einkäufe zu tätigen, so dass Hannah und ihr Vater allein frühstückten.

 

Der Vater blätterte etwas nachdenklich in seinen Manuskripten für das nächste Semester und blickte etwas verloren durch das geöffnete Fenster den Schneeflocken hinterher.

 

Das gefiel Hannah gar nicht. Die letzten Tage hatte sie ihn viel aufgeräumter erlebt. Und wieder hatte sie einen ihrer genialen Einfälle:

 

 „Hallo  Papa, ich habe mit Herrn Kraus gestern besprochen, dass wir heute mit den Hunden einen Spaziergang zu den Wiesen am Rhein machen könnten, damit sie mal die Möglichkeit haben, sich richtig auszutoben. Ich würde mich freuen, wenn du uns begleiten würdest. Den kleinen Black bringe ich sowieso zu Ria, damit er sich den Bauch mit Muttermilch füllen kann. Ich habe das Gefühl, er mag sie mehr als unsere Fläschchen.“

 

Der Vater willigte sofort ein, er freute sich scheinbar, dass seine Tochter ihn dabei haben wollte. Also brachen sie auf.

 

Herr Kraus wartete bereits vor dem Tor und nachdem Hannah ihren Black bei Ria in die Welpenrunde eingebettet hatte, suchte sie nach Hundeleinen für das anstehende Abenteuer. Sie musste etwas improvisieren, denn Herr Glotz legte auf derartige Spaziergänge keinen Wert. „Hunde gehören in den Zwinger und nicht auf die Straße“, war auch einer seiner zweifelhaften Grundsätze. Aber schließlich fanden sich fünf Leinen, die Hannah vorher säubern musste.

 

Ihrem Vater drückte sie die Leine der alten Hundedame Tara in die Hand, zwei der etwas ruhigeren Hündinnen übernahm Herr Kraus und die zwei jüngeren verwegenen Rotschöpfe wollte sie selbst führen.

 

Als sie am Tor angelangt waren, offenbarte sich ihnen eine Überraschung. Die beiden jungen Hündinnen, die in ihrem Leben das Grundstück noch nie verlassen hatten, warfen sich zu Boden. Der Gehsteig, die Straßenlaternen und besonders die zwei Jungs, die mit ihrem Schlitten die Straße entlang liefen,  stellten für sie eine Gefahr dar. Alles war für die beiden Hundemädchen neu und bedrohlich.

 

Tara und die beiden anderen Hündinnen waren weniger ängstlich, da sie von Zeit zu Zeit von Herrn Glotz, wenn ein Wurf anstand, bei Hundeausstellungen vorgeführt wurden. „Werbung ist gut für das Geschäft“ pflegte er zu sagen. Bei den beiden jungen Hündinnen war ihm das aber zu stressig, da der Verkauf auch so florierte.

 

Die Straße war für die beiden Junghunde etwas Unheimliches. Sie wollten zurück in ihr bekanntes Umfeld. Hannah erkannte und verstand die Panik der beiden. Sie beugte sich zu ihnen hinunter, streichelte sie zärtlich, danach nahm sie einige Belohnungshäppchen aus der Tasche und lockte sie ruhig und vorsichtig, Schritt für Schritt, weiter. Nach einigen Minuten war die Angst verflogen und die beiden liefen mit der Rute wedelnd neben Hannah.

 

Herr Kraus und Hannahs Vater unterhielten sich eifrig über klassische Musik. Herr Kraus, der seine Jugend in Wien verbrachte, war immer noch ein begeisterter Mozartfan. Die Hunde schienen  diese Gespräche nicht zu stören. Und als sich die Gruppe den Rheinauen näherte, zogen sie schon mal, übermannt von ihrem Bewegungsdrang, kräftig an den Leinen.

 

Hannahs Sorge, die Hunde würden ohne Leine ausbüxen und ihre neue Freiheit einmal richtig ausleben, war unbegründet. Von Zeit zu Zeit kamen sie alle zur Menschengruppe zurück, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war.

 

Der alten  Tara war dieses Treiben suspekt. Sie drückte sich fest an das Bein von Hannahs Vater und schien dem Gespräch beider Männer zu folgen.

 

Hannah freute sich, als sie sah, dass dessen Hand der alten Hundedame immer wieder über den Kopf strich.

 

Auf dem Heimweg wurden sie zur Dorfattraktion. Menschen blieben stehen und erfreuten sich an dem Anblick dieser sonderbaren Gruppe: drei Menschen und fünf Setter. Ein PKW hielt an, ein Mann stieg mit seinem Handy aus dem Auto und fotografierte drauflos.

 

Zwei kleine Mädchen fragten, ob sie die Hunde streicheln dürften. Hannah freute sich darüber und die Hunde genossen die warmen Kinderhände.

 

Am Abend waren alle erschöpft.  Hannah fütterte die Hunde, bedankte sich bei Herrn Kraus und ihrem Vater, schnappte sich ihren kleinen Black und war etwas später froh, wieder zu Hause zu sein.

 

Der Vater war sehr „aufgekratzt“ und berichtete der Mutter alle Details dieses erlebnisreichen Nachmittags.

 

Und plötzlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht: „So ein Hund wie Tara, wäre bestimmt auch etwas für mich. Sie hat im Alter etwas Besseres verdient, als im Zwinger dahin zu vegetieren. Sie könnte mich sogar zur Uni begleiten, wenn ich keine Vorlesungen habe und wir könnten zusammen schöne Spaziergänge machen“, sagte er.

 

„Da lässt sich bestimmt etwas tun. Der Geizkragen  wird froh sein, einen „Fresser“ weniger zu haben“, meinte Hannah.

 

Sie verzog sich nach dem Abendessen mit Black in ihr Zimmer uns schrieb Herrn Glotz eine WhatsApp.

 

 „Hallo Herr Glotz, mein Vater ist bereit die alte Tara zu uns zu nehmen. Sind Sie damit einverstanden? Ich bitte um eine schnelle Antwort.“

 

                        Tara

                      

 

Als Glotz die Nachricht las, saß er mit Frau und Tochter in Kapstadt auf der Terrasse eines schicken Restaurants. Er war gut gelaunt, denn er hatte an diesem Tag zwei Springböcke geschossen. Er konnte sein Jagderlebnis dennoch nicht ganz genießen, wenn er an den Preis für den Abschuss dachte.

 

Plötzlich aber verzog sich sein Gesicht zu einem Grinsen. Zu seiner Frau sagte er nur: „Dieser Professor soll mir die Trophäen bezahlen.“

 

Und sofort schrieb er eine Nachricht an seinen Freund Jodler: „Wieviel kann ich für meine alte Tara (12 Jahre) von einem willigen Käufer verlangen?“, lautete der Text.

 

Er wusste, dass sein Freund in einem solchen Fall der richtige Ratgeber war, da er all seine alten Hunde gewinnbringend verhökert hatte.

 

Die Antwort kam prompt: „Habe einen neun Jahre alten Rüden an eine alte Dame für neunhundert Euro verkauft. Alte Menschen wollen alte Hunde. Ziehe  für jedes Jahr darüber hundert Euro ab und du hast den Preis. Bloß nur nicht verschenken, das macht unser Geschäft kaputt!!!“

 

Die Antwort gefiel Herrn Glotz und er schickte Hannah eine Nachricht, dass Hannahs Vater zuerst einen Scheck für 600 Euro ausschreiben solle und dass die Familie Glotz dann schweren Herzens bereit wäre, sich von der von seiner Familie heißgeliebten Hündin Tara zu trennen.“

 

Als Hannah ihren Eltern beim Frühstück am folgenden Morgen dies vorlas, schäumte ihre Mutter vor Wut:

 

„Der wird uns kennen lernen, nie und nimmer geben wir 600 Euro für einen alten, vernachlässigten Hund. Ich werde den Tierschutz informieren“ und sie griff zum Telefon.

 

Der Vater saß regungslos da. Er behielt das Marmeladenbrot, das er gerade zum Mund führen wollte, in der Hand: „Natürlich Frau hast du Recht, aber ich muss die ganze Zeit an diesen alten Hund denken. Er hat sich an mein Bein gedrückt und mich mit diesen großen traurigen Augen angesehen. Wenn wir den Tierschutz einschalten, wird es bis zu einer Entscheidung Monate dauern und so viel Zeit hat Tara nicht mehr. Ich habe doch noch mein Weihnachtsgeld von der Uni“, sagte er zu seiner Frau und ging in sein Arbeitszimmer.

 

Er kam mit einem Scheck zurück, drückte ihn Hannah in die Hand und bat sie, diesen im Beisein von Herrn Kraus bei Glotz in den Briefkasten zu werfen.

 

„Und hebe die Nachricht als Beleg auf, denn dieser Gauner ist sehr gerissen. Danach  bring bitte Tara zu uns“, sagte er zu seiner Tochter.

 

Hannah drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Sie war voll in ihrem Element. Zuerst musste sie dem kleinen Black ein Fläschchen zubereiten, danach ihn zu Ria bringen, dann die Hunde füttern und zusätzlich noch Tara „auf Vordermann“ für ihr neues Leben bringen. An Frühstücken war heute für sie gar nicht zu denken.

 

Die Mutter war noch immer ungehalten. Sie kannte aber ihren Mann und instinktiv wusste sie, dass er das Richtige tat. Insgeheim aber war sie verwundert und freute sich über seine Energie und seine Entschlossenheit.

 

Gegen Mittag kam Hannah mit Tara zurück. Ihr Vater nahm die alte Hundedame in Empfang, führte sie zur Couch und zeigte ihr die Decke, die er darauf ausgebreitet hatte. Tara zögerte. Hunde vergessen nicht und sie erinnerte sich gut an den Tobsuchtsanfall von Frau Glotz als sie es vor zwei Jahren wagte,  sich auf die Liege im Garten zu legen.

 

Doch durch Hannahs Überredungskünste bestärkt, wagte sie sich vorsichtig auf das eine Ende der Couch. Sie schlief auch sofort ein, denn sie genoss die Ruhe und die Zuneigung dieser Menschen.

 

Vorsichtig bettete Hannah den kleinen Black zu Tara. Diese wachte aber auf, beschnupperte das kleine quirlige Wesen  etwas misstrauisch, doch dann gewann ihr Mutterinstinkt die Oberhand. Schließlich hatte sie in ihrem Leben einige Würfe versorgt und dies war eine schöne Zeit, denn wenn die Aufzucht funktionierte, war Herr Glotz auch bereit die Hunde durch Freundlichkeit zu belohnen. Dass diese gespielt war, wussten die Tiere nicht.

 

Doch die große Aufregung in der Familie gab es aber am nächsten Morgen, denn der kleine Black nuckelte genüsslich an Taras Zitzen, die sich über Nacht mit Milch gefüllt hatten.

 

Bei Hunden scheint dies üblich zu sein, da Hündinnen, „verführt“ durch den Welpengeruch, zu Ammen werden und so bei der Aufzucht ihren Beitrag leisten. Tara  hatte den kleinen Black einfach adoptiert. Die Mutter amüsierte sich über diese unglaubliche Entwicklung und Hannah war fast eifersüchtig: „Jetzt wird der kleine Feinschmecker wohl meine Fläschchen verschmähen“, spaßte sie.

 

Natürlich war dies nicht der Fall, denn das Bisschen Milch der alten Hundedame reichte für den immer hungrigen Welpen, der sein Geburtsgewicht bereits verdoppelt hatte, nicht aus und so genoss er auch Hannahs Fläschchen in vollen Zügen.

 

Als er fast zwei Wochen alt war, gab es erneut eine Sensation. Als Hannah eines Morgens noch etwas schlaftrunken den kleinen aus seinem Körbchen nahm, blinzelten sie zwei blaue Welpenaugen an.

 

Sie rannte sofort zu ihren Eltern um ihnen über das freudige Ereignis zu berichten.

 

Bei all den herrlichen Erlebnissen, die sich Hannah und ihren Eltern von Tag zu Tag offenbarten, hatten sie fast vergessen, dass in den kommenden Tagen Familie Glotz wieder zu Hause „eintrudeln“ dürfte.

 

Die anderen Hunde hatten sich in der Zwischenzeit an die Wärme und das gemütliche Leben im Wintergarten und an die herrlichen Schneespaziergänge gewöhnt.

 

„Wie wird die Zukunft aussehen?“, war die bange Frage, die Hannah nicht mehr aus dem Kopf ging.

 


Am nächsten Morgen traf sich Hannah nach dem Frühstück mit Herrn Kraus an der Zwingeranlage.

 

Sie wussten,  dass in einigen Tagen, nachdem die Familie Glotz wieder zu Hause war, das Wintergartenmärchen für die Hunde zu Ende war.

 

Sie säuberten den Zwinger von schmutzigem Stroh, spritzten den Boden ab und Herr Kraus hatte in  der Drogerie ein Desinfektionsmittel und einen Geruchsvertilger gekauft. Nachdem sie den Boden und die Holzablagen damit behandelt hatten, roch es frisch, ja fast angenehm.

 

Zuletzt säuberte Hannah noch die Volieren im Garten. Hier lebte auf engem Raum allerlei Federvieh: Wachteln, Rebhühner, Fasane und Haushühner.

 

Herr Krause meinte, dass die Kälte den Hunden weniger schaden würde als der Schmutz, schließlich hatten sie ja ein flauschiges Fell. Wahrscheinlich aber wollte er Hannah aber nur beruhigen und sie auf das Unvermeidbare vorbereiten.

 

Nachdem sie mit der Arbeit fertig waren, ging Herr Kraus wieder nach Hause und Hannah genoss die Idylle mit den Hunden. Diese lagen im Wintergarten ausgestreckt auf ihren Decken und blinzelten Hannah zu, die Black im Arm hielt und ihm Geschichten von großen und starken Hunden erzählte, die sprechen konnten, viel klüger waren als manche Menschen  und alle einen großen schwarzen Fleck am Hals hatten.

 

Obwohl der Kleine natürlich kein Wort verstand, gab ihm Hannahs  Stimme ein Gefühl von Glück und Geborgenheit.

 

Sie hatte sich bereits  von den Hunden verabschiedet, um   den Heimweg  anzutreten. Den kleinen Black hatte sie schon unter ihre Jacke geschoben, so dass ihm die winterlichen Temperaturen nichts anhaben konnten.

 

Als sie sich erheben wollte,  erstarrte sie vor Schreck.

 

In der offenen Tür stand Herr Glotz und schnappte mit hochrotem Gesicht nach Luft. Er wollte losbrüllen, doch seine Stimme versagte.

 

Seine Hände zitterten und in seiner Wut knallte  er die beiden Geweihe, die er in den Händen hielt, zu Boden. Diese zerbrachen in viele kleine Einzelstücke.

 

Als er seine Stimme wiederfand  brüllte er: „Raus, raus, alles raus. Das ist kein Hundezwinger!“

 

Hannah verließ fluchtartig das Haus und lief nach Hause.

 

Sie drückte Black ihrer Mutter in den Arm und ließ sich mit hochrotem Gesicht auf der Couch nieder. Im gleichen Augenblick bimmelte die Glocke  am Hoftor. Sie wurde aber  übertönt  von der schrillen Stimme von Herrn Glotz:

 

 „Ich werde Euch alle anzeigen und Schadensersatz fordern, das ist Hausfriedensbruch und Hausbesetzung!“ 

 

Hannahs Vater verstand sofort, was geschehen war.

 

Er erhob sich von seinem Schreibtisch, bat die Mutter die Ruhe zu bewahren, dann lächelte er Hannah zu und ging zum Hoftor.

 

Sein Blick traf Herrn Glotz und das Gebrüll verstummte sofort.

 

Später erzählte Hannahs Mutter, dass sie ihren Mann so noch nie erlebt habe. Sie konnte das Gespräch nicht im Detail widergeben, da ihr Mann kein lauter Mensch war und auch bei seinen Vorlesungen  ruhig und bedächtig  sprach. Worte wie Tierquälerei, Verantwortung und Anstand konnte sie aber verstehen.

 

Nach dem kurzen Gespräch trollte sich Herr Glotz nach Hause, um sich bei seiner Frau stotternd auszuheulen. Diese hielt ihm wutentbrannt  die kaputten Geweihe vor die Nase und fuhr ihn an: „Das viele Geld, alles futsch und nur vier Welpen im Stall zum Verkauf!“

 

Hannahs Vater betrat nach dieser deutlichen Unterredung wortlos das Wohnzimmer, so als hätte er nur seinen alltäglichen Spaziergang gemacht. Fast beiläufig sagte er: „Dieser Mensch wird uns nicht mehr belästigen“. Dann setzte er setzte sich an sein Klavier und spielte die Mondscheinsonate von Beethoven.

 

Plötzlich hielt er inne, denn der kleine Black, der seit einigen Tagen auf eigenen Beinchen begann die Wohnung zu erkunden,  hatte sich am Schnürsenkel seines Schuhs zu schaffen gemacht. Er sah lange dem munteren Welpen zu und meinte dann nur: „Dieses kleine herrliche Geschöpf hat uns verdient und wir es auch.“

 

Anschließend fuhr er der alten Tara über den Kopf und fügte hinzu: „Gut, dass du jetzt bei uns lebst.“

 


Nach dem Abendessen besprach alle zusammen mögliche Strategien, um die beiden neuen Familienmitgliedern in ihren Alltag zu integrieren. Die Situation war recht kompliziert, aber die Familie hatte durch die Hunde wieder zusammengefunden.

 

Leider waren am folgenden Montag die  Weihnachtsferien zu Ende. Für Hannah bedeutete das, für die folgende Zeit Leistungs- und Grundkurse über den ganzen Tag verteilt zu absolvieren, denn bis zur Abiturprüfung waren es nur noch wenige Monate und ein Tiermedizinstudium war leider ohne Abi nicht möglich.

 

Die letzten Schuljahre waren für sie nicht gerade einfach.  Sie war schmächtiger als die meisten ihrer Klassenkameradinnen, die Jungs aus der Klasse beachteten sie kaum und als sie sich auf einer Klassenfahrt weigerte, abends mit den anderen“ Gras“ zu rauchen, wurde sie  zuerst ignoriert und dann gemoppt.

 

Ihr Schulranzen wurde mit Fäkalien beschmiert und auf Facebook wurden über sie üble Stories  verbreitet.

 

Sie wusste sich nicht zu helfen. Sie schwänzte die Schule und verbrachte den Vormittag am Rheinufer oder schlich sich bei Familie Glotz  in den Garten, wenn sie sah, dass niemand zu Hause war. Sie saß stundenlang vor dem Zwinger und sprach mit den Hunden.  Diesen konnte sie all ihre Sorgen anvertrauen.

 

Ihre Eltern waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um von den Schwierigkeiten ihrer Tochter etwas zu ahnen.

 

Als Herr Glotz sie das erste Mal an einem Vormittag bei den Hunden antraf, packte Hannah der Schreck und sie wollte davonlaufen.

 

Herr Glotz  war aber recht freundlich, er grinste über das ganze Gesicht und hielt Hannah eine Schaufel hin und sagte:  „Der Zwinger muss gereinigt werden, hier bist du willkommen. Ich schweige wie ein Grab.“

 

So verbrachte sie zwei Wochen lang die Vormittage bei den Hunden, ohne dass ihre Eltern etwas bemerkten. Als  diese dann  durch einen Brief des Rektors über Hannahs Schulverweis auf Grund des unentschuldigten Fehlens informiert wurden, suchten sie nach einem Ausweg.

 

Die Lösung hieß Privatschule mit Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag. Hannah fügte sich dem Wunsch ihrer Eltern, doch auch der Besuch der neuen Schule gab Hannah ihre Lebensfreude nicht zurück.

 

Sie fühlte sich unwohl zwischen all diesen Mädchen, die sich stundenlang über  Armani, Versace oder  Gucci unterhalten konnten. Wenigstens wurde sie hier  in Ruhe gelassen.

 

All das war für Hannah durch drei Wochen Ferien und ihre Freude mit dem kleinen Black in weite Ferne gerückt.

 

Doch jetzt musste sie sich wieder der Realität stellen.

 

Wer wird sich um den kleinen Black kümmern, wenn sie in der Schule ist?

 


Wird Herr Glotz seine Drohung, sie anzuzeigen, wahr machen?

 

Wird die alte Tara bei ihrer neuen Familie bleiben können?

 


Zwei Tage danach fand Hannah im Briefkasten ein Schreiben von Herrn Glotz. Aufgeregt ging sie mit dem Brief zu ihrem Vater, der mit Herrn Kraus im Wohnzimmer saß und über die Wiener Klassik fachsimpelte. Herr Kraus besuchte jetzt öfter die Familie und Hannahs Vater genoss die Gespräche mit diesem alten, aber weitgereisten und gebildeten Mann.

 

Nachdem der Vater den Brief, der voller Drohungen und Beleidigungen war,  gelesen hatte, reichte er ihn stirnrunzelnd an Herrn Kraus weiter.

 

Dieser überflog die Zeilen, amüsierte sich zuerst einmal köstlich und beruhigte danach die Familie: „Kein Grund zur Aufregung. Dieses Schreiben stammt nicht vom Absender. Glotz ist zwar ein raffiniertes Kerlchen, aber  zu solchen Formulierungen nicht fähig. Aber er versteht es Menschen für sich einzuspannen, denn er kennt die Grenzen seines Intellektes. Durch Heuchelei und Freundschaftsbekundungen wickelt er Menschen um den Finger.  Ich kenne die Frau, die diesen Brief verfasst hat. Glotz hat ihr einen Hund aufgedreht und sie verehrt ihn. Sie hat in ihrem Beruf als Krankenschwester versagt, ist jetzt unglücklich und schlägt mit Worten um sich „um sich an der Welt zu rächen“. Deshalb  verwickelt sie  in ihrer Verzweiflung Menschen in einen irrwitzigen Briefwechsel. Das ganze Dorf weiß das, Glotz natürlich auch und benutzt sie. Es wäre ein großer Fehler zu antworten, denn es wäre der Anfang von einer irrsinnigen Korrespondenz“

 

Er zerknüllte den Brief und warf ihn in den Kamin.

 

Dann wandte er sich zu Hannah und er versicherte ihr mit Worten, die gar nicht zu diesem zurückhaltendem Mann passten, dass er sie seit langem im Stillen beobachte, dass sie etwas ganz Besonderes sei und dass er ihr Mitgefühl für die Tiere bewundere. Er bot seine Hilfe an und er versicherte Hannah, dass er sich um Black kümmern könnte, wenn „Not am Mann“ wäre.

 

Was Tara betrifft, meinte er nur, dass die Familie unbesorgt sein könnte, da Glotz ein berechnender Mensch  sei und in Tara nur einen „Fresser“ sehe, der ihm keinen Profit bringe.

 

Bevor er sich verabschiedete sagte er noch zu Hannah:

 

„Mädchen, die Welt steht dir offen, kehre der kleinen Welt von Glotz Hinterhof den Rücken, du bist klug und zu mehr befähigt. Wenn du dein Abitur und dein Studium geschafft hast, wird man dich und deine Stimme für all die in Käfigen vergessenen  Kreaturen ernst nehmen.“

 

Hannah und ihre Eltern saßen nach dem Besuch von Herrn Kraus lange sprachlos auf der Couch.

 

Tara war auch dabei und sie genoss die Stille. Sie lag regungslos zwischen Hannah und ihrem Vater. Wenn Hunde alt werden, haben sie all ihre positiven, aber auch negativen Erfahrungen in ihrem Gehirn gespeichert. Tara hatte gelernt, dass  „unsichtbar sein“ der einzige Weg ist, als schwaches Glied einer Kette Schwierigkeiten zu umgehen. Eine Umstellung schien ihr auch in ihrem neuen behüteten Umfeld schwer zu fallen.

 

Das fordernde, übermütige Verhalten, das manche Setter, die schon als Welpen Teil einer menschlichen Familie waren, war ihr fremd.

 

Der kleine Black war in dieser Hinsicht anders. Er kannte nur Hände, die ihn streichelten und Menschen, die seine Freunde waren. Er beobachtete für eine kurze Zeit sein Umfeld.

 

Diese plötzliche ungewohnte Stille war dem kleinen und verwöhnten Kerlchen nicht geheuer, deshalb versuchte er durch ein herzzerreißendes „Heulkonzert“ auf sich aufmerksam zu machen.

 

Überrascht und begeistert wandte sich ihm die gesamte Familie zu und er hatte erreicht, was er wollte. Als er noch Hannahs Hausschuh klaute und davontrug, konnte er sich über ausreichend Beifall freuen.  Das Eis war gebrochen und Hannahs Eltern widmeten sich vergnügt dem übermütigen Quälgeist, der im Zimmer herumtollte.

 

Nur Hannah blieb ruhig. Die Worte von Herrn Krause gingen ihr nicht aus dem Kopf. Später verzog sie sich in ihr Zimmer. Als ihr Vater später nach ihr sehen wollte, fand er sie auf dem Bett mit dem Biologiebuch in der Hand.

 

Am späten Abend hörte Hannah plötzlich Klaviermusik aus dem Wohnzimmer. Traurig nahm sie den kleinen Black in den Arm und flüsterte ihm zu: „Papa ist bestimmt allein und hat Sorgen, sonst würde er nicht  so spät Klavier spielen, wir müssen nach ihm sehen.“

 

Auf der Hälfte der Treppe blieb sie wie angewurzelt stehen: Ihre Eltern saßen am Klavier und sie spielten vierhändig Beethovens „Für Elise“.

 

Hannah lächelte glücklich und zog sich mit Black wieder zurück. 

 

Zeitraffer für  Ereignisse des kommenden Jahres:

 

Hannah hatte ihr Abitur mit einem Schnitt von 2,1 bestanden und ab dem Frühjahrsemester ihr Tiermedizinstudium in Gießen begonnen.

 

Ihre Eltern durchstreiften mit der alten Tara mittags oft in Begleitung von Herrn Kraus  die Rheinwiesen.

 

Abends traf man sie meist im Sommergarten eines  italienischen Restaurants, wo für Tara immer eine Schüssel mit Wasser bereit stand.

 

Die Mutter fand des Öfteren einen Grund, die Frauenabende, die ihr vorher so wichtig waren, ausfallen zu lassen.

 

An ruhigen Abenden, wenn die Tür zum Garten offen stand, glaubte man den Gesang einer Frauenstimme zu hören, begleitet von den Klängen eines Klaviers.

 

Und trotz allem verspürten beide manchmal eine Wehmut, denn ihre Tochter fehlte ihnen sehr.

 

Und Glotz? Er blieb der Alte, denn obwohl nach Beschwerden der Nachbarn das Veterinäramt einige Male bei ihm auftauchte, züchtete er weiter im Hinterhof seine Hunde und blieb nach außen der „Saubermann“.

 

Dank seines Freundes aus dem Rathaus wurde er stets rechtzeitig vor jeder Kontrolle gewarnt. Das kostete ihn jedes Mal ein erlegtes Reh, denn auch Freundschaft gab es in diesem Umfeld nicht umsonst, aber das war es ihm wert, denn sein Züchtergeschäft florierte.

 

Der kleine Black wuchs in der Zwischenzeit zu einem stattlichen Studenten-Setter heran und obwohl Hunde im Studentenwohnheim nicht erlaubt waren, drückte der Hausmeister ein Auge zu und Black verbrachte die meiste Zeit bei Hannah in Gießen. An der gesamten Uni war er bekannt als der rote Hund mit dem schwarzen Punkt. Ob diese übermäßige „Popularität“  seiner Erziehung dienlich war, ist nicht genau zu beurteilen. Er entwickelte sich zum verwöhnten Mittelpunkt von Hannahs Kommilitonen  und war für jeden Spaß zu haben.

 

Die jungen Leute rissen sich gerade um das Privileg ihn spazieren zu führen. In besonderer Gunst standen aber seine Gönner, die Fleischreste in der Mensa für ihn abstaubten.

 

An ihren freien Nachmittagen zog sich Hannah mit Black in die Felder, die an die Stadt angrenzten, zurück. Sie genossen die Stille, den Geruch der Wiesen und den Tanz der Schmetterlinge.

 

Oft trottete Black neben Hannah her oder er versuchte einen mürben Ast zu zerlegen. Wenn sich dann ein Stück Holz löste warf er es in die Luft, um es wieder aufzufangen. Von diesem Spiel konnte er nicht genug bekommen.

 

Manchmal aber blieb er urplötzlich wie angewurzelt stehen, den Hals weit nach vorne gestreckt, die Nase im Wind. Seine Nüstern saugten die Luft ein, er bewegte seine Lefzen, so als würde er die Gerüche kauen. Langsam schlich er in dieser Haltung nach vorne, um am Feldrand einer Statue gleich zu verharren.

 

Nach kurzer Zeit trollte sich dann ein Kaninchen davon  oder ein Fasanenhahn, der sich gestört fühlte und  den Eindringling von dem Nest seiner Henne weglocken wollte, bohrte sich mit einem schrillen Schrei in die Luft und flog davon. Oft war es auch nur eine vorwitzige Amsel, die Blacks Interesse erregte.

 

Durch Black lernte Hannah Teile der Natur kennen, die vielen Menschen leider zeitlebens verborgen bleiben.

 

Natürlich verbreiteten sich Blacks Fotos in einem rasanten Tempo in den sozialen Netzwerken. Die Begeisterung der User war groß.

 

Anfangs waren es nur Hannahs Kommilitonen, die ihrer Euphorie freien Lauf ließen, später erhielt Hannah Freundschaftsanfragen aus der gesamten „Hundewelt“. Dieser putzige Setter mit dem schwarzen Punkt und diese junge bescheidene Frau hatten es allen angetan.  

 

Black musste nur einmal mit der Rute wedeln und schon „regnete“ es tausendfach: „Gefällt mir“.

 

Hannah fühlte sich geschmeichelt, sie und ihr roter Liebling standen im Mittelpunkt einer Welt, die für sie neu war.

 

Wenn sie aber abends endlich in ihrem Zimmer allein war, dachte sie an die ruhigen Tage mit dem kleinen Black bei ihr zu Hause in ihrem Mansardenzimmer. Oft fielen ihr aber auch die unglücklichen Hunde im Zwinger im  Hinterhof der Familie Glotz ein und  Tränen kullerten über ihre Wangen.

 

Bald aber  wurde die Geschichte des Mädchens, das einen kleinen hilflosen Welpen gerettet hatte, von verschiedenen Gruppierungen aufgegriffen und zu eigenen Zwecken eingesetzt.

 

Überrascht las Hannah auf ihrem Smartphone die Nachricht einer Gruppe, die sich „Hundepiraten“ nannte. Sie klickte  die Homepage der Gruppe an:

 

Schon auf der ersten Seite stachen ihr die  Fotos ihres Lieblings Black ins Auge.

 

Die lobenden Worte über seine Rettung taten ihr gut.  Es folgten Artikel über Anprangerung der Zwingerhaltung, Berichte über verwahrloste Straßenhunde im Süden, Fotos über  Zuchtstationen mit erbärmlichen Welpen. Erinnerungen an ihren Nachbarn Glotz kamen auf.  All das, was sie hier las, war ihre Wellenlänge und so entschloss sie sich, die Gruppe zu kontaktieren.

 

Prompt folgte eine Einladung zu einem Treffen in Frankfurt.

 

Hannah war etwas verwundert darüber, dass der Treffpunkt erst eine Stunde vor Beginn bekanntgegeben werden sollte, die Vorstellung aber, viele Menschen, die ihre Leidenschaft teilten, zu treffen, ließ sie alle Zweifel über Bord zu werfen und sie war bereit an besagtem Abend mit Black nach Frankfurt zu fahren.

 

Über eine WhatsApp-Nachricht erfuhr sie während der Fahrt, dass der Treffpunkt eine Raststätte auf der A5 Richtung Heidelberg sei.

 

Sie fand die Raststätte ohne große Schwierigkeiten und traf auf eine Gruppe junger Menschen, die um einen Holztisch versammelt war und eifrig diskutierte. Auf der angrenzenden Wiese lagen einzelne Hunde.  Als sich Hannah mit Black näherte, verstummte die Unterredung. Hannah wurde etwas skeptisch beäugt, Black fand keinerlei Beachtung und er begann aus Verlegenheit an einem Stock zu knabbern.

 

Doch plötzlich näherte sich eine junge schlanke Frau den beiden, sie hatte Hannah von den Fotos aus den sozialen Netzwerken erkannt:

 

„Das ist Hannah, die Welpenretterin und ich bin Sara“ rief sie laut und plötzlich wurde Hannah von allen begrüßt. Der Superstar Black litt aber noch immer unter der Missachtung dieser Menschen,  das war er so gar nicht gewohnt und er begann zu quengeln und zu fiepen.  Doch es änderte nichts an dem Verhalten dieser geschäftigen Menschen.

 

Sara zog Hannah zur Seite und fragte sie fast beschwörend: „Du bist doch eine von uns? Heute geht es um etwas Großes.“ Als Hannah die Frage bejahte, wurde sie eingeweiht:

 

Aus einem Versuchslabor in der Nähe sollten an diesem Abend drei Setter befreit werden und hier wollten sie die letzten Vorbereitungen getroffen werden.

 

„Setter und Versuchslabor“, Hannah war nicht mehr in der Lage klar zu denken. Und ihr fielen sofort die Zwingerhunde von Glotz ein. „Nur noch viel schlimmer“, dachte sie und war zu allem bereit, obwohl sie wusste, dass ihr diese  verschwörerische Atmosphäre wenig behagte und auch was diese jungen Leute betraf, sprang zu ihr kein Funke über. Sie waren alle sehr verschlossen, Freundlichkeit war nicht gerade ihre Stärke.

 

Bei klarem Verstand hätte sie einiges an dieser Aktion hinterfragt:

 

Sind Tierversuche an Hunden in Deutschland nicht schon gesetzlich verboten?

 

Wieso gerade drei Setter in diesem Versuchslabor?

 

Zum Überlegen blieb keine Zeit. Als Neuzugang wurde sie zum „Schmierestehen“ eingeteilt. Scheinbar genoss sie noch nicht ganz das Vertrauen einzelner Aktivisten und so sollte sie vorerst mal einem Test unterzogen werden.

 

Angeblich war ab zehn Uhr abends nur noch der Hausmeister  auf dem Gelände anwesend und der wohnte in der ersten Etage. Die Hunde befanden sich aber im Erdgeschoss.

 

Hannah sollte die anderen, die mit Bolzenschneider und Brechstangen ausgerüstet waren, warnen, wenn in der unteren Etage eventuell die Beleuchtung eingeschaltet werden würde.

 

Also fuhren sie los und Black vermisste noch immer jede Art von Zuwendung. Die anderen Hunde wurden auch in die Fahrzeuge verfrachtet, ohne dass Black sich in der üblichen Hundeart durch Beschnuppern nach ihrem Befinden erkundigen konnte.

 

Die Befreiungsaktion verlief reibungslos, da die Türen der unteren Etage nicht einmal richtig verschlossen waren. Lautlos wurden die Hunde ins Freie geführt und in die Fahrzeuge verfrachtet, die in einer angrenzenden Baumallee geparkt waren.

 

Per WhatsApp wurde die geglückte Aktion als beendet erklärt und der  „Einsatzleiter“ wünschte allen Teilnehmern eine gute Heimfahrt.

 

Hannah war verblüfft: Und was geschah mit den Settern? Wer würde sich um die Tiere kümmern?

 

Sie hätte sich wenigstens gewünscht, sie einmal streicheln zu können und  vielleicht zu sehen, ob Black sie in  typischer Setterart, das bedeutet mit hochgezogenen Ohren begrüßen würde. Nichts, gar nichts.

 

Enttäuscht wendete sie den Wagen in einer Seitenstraße und machte sie sich auf den Heimweg Richtung Autobahn.

 

Jetzt war das Gebäude hell beleuchtet. Im Vorbeifahren sah sie einen Mann, wahrscheinlich den Hausmeister, der verzweifelt auf und ab rannte.

 

Was sie aber umso mehr beunruhigte war das blanke beleuchtete Messingschild: „Versuchsstation Astrophysik“

 

Also kein Tierversuchslabor?

 

Eine Anzeige in der Frankfurter Rundschau in den folgenden Tagen brachte für Hannah Gewissheit:

 

 Belohnung für das Zurückbringen meiner drei Hunde (Setter)

 

Bedingt durch eine Vorlesungsreihe in den USA habe ich dem Hausmeister des Labors für Astrophysik  meine Hunde zur Pflege überlassen. Sie wurden Montagnacht entwendet. Zahle jede Belohnung für das Zurückbringen meiner Tiere. Bitte behandelt sie gut. Prof. Dr. Helm

 

 

 

Hannah war verzweifelt. Sie versuchte Sara anzurufen. Vergebens, angeblich war ihre Nummer nicht mehr vergeben. Sie versuchte die Homepage der Hundepiraten zu kontaktieren. Sie war abgeschaltet.

 

Hannah war traurig und hilflos. Sie war auf Menschen hereingefallen,die trotz ihres vorgegaukelten Sendebewusstseins einfache Diebe waren, die an unschuldigen Tieren verdienen wollten. "Die sind auch nicht besser als Glotz", sagte sie sich."

 

Letzteres schien eher der Fall zu sein, denn zwei Wochen später berichtete die FAZ, dass Prof. Helm nach Entrichtung eines stattlichen Betrags auf ein anonymes Konto in der Schweiz wieder in  Besitz seiner Hunde sei. Ein Foto zeigte einen gutmütigen Mann mit grauem Schnurbart mit drei Settern an der Leine.

 

Hannah atmete auf, doch das schlechte Gewissen blieb.

 


Die nächsten Wochen vertiefte sich Hannah in ihr Studium. Sie besuchte neben den Regelvorlesungen auch fakultative Gastveranstaltungen und nahm an allen möglichen Praktika teil.

 

Sie hatte an der Uni auch eine Freundin gefunden. Sie hieß Maren und hatte eine kleine Setterhündin, Stella, die aus einer behüteten Familienzucht aus dem Lippetal stammte.

 

Die Kleine war eine  richtige Hexe, die vor nichts zurückschreckte und wie Maren ihr berichtete, hatte sie die ersten zehn Wochen in einer „heilen“ Welt mit viel menschlicher Zuneigung verbracht.

 

An den  Wochenenden fuhr Hannah zu ihren Eltern. Sie genoss die Spaziergänge mit den beiden und hatte allerlei „fachliche“ Ratschläge bereit, wie man die aufkommende Arthrose der alten Tara therapieren könnte.

 

Manchmal, wenn ihre Eltern beim Einkaufen waren, saß sie im Garten, Black lag neben ihr im Rasen, doch ihr Blick war auf das Nachbarhaus gerichtet. Familie Glotz hatte ihrem Haus einen neuen weißen Anstrich verpasst und das Zaungitter ebenfalls weiß gestrichen, doch das interessierte Hannah wenig. Ihr gingen die Hunde durch den Kopf.

 

Wie es ihnen wohl geht, fragte sie sich. Doch sie wusste die Antwort bereits oder sie konnte sie zwischen den Zeilen der spärlichen Informationen, die ihr durch Herrn Kraus zu Teil wurden, herauslesen. Dieser sagte nur, es sei alles beim Alten und das hieß nichts Gutes.

 

Als Hannah an einem Wochenende verhindert war, nach Hause zu fahren, da ein Praktikum in der Tierklinik  durch einen Notfall den ganzen Samstagnachmittag in Anspruch nahm, überraschte sie Maren mit einem Vorschlag:

 

In der Nähe von Gießen sollte am Sonntag ein Setter-Symposium stattfinden. Hannah konnte mit diesem Begriff wenig anfangen, aber wenn es um Hunde ging, war sie selbstverständlich leicht zu begeistern und so beschlossen die beiden jungen Frauen zusammen mit Black und Stella die Veranstaltung zu besuchen.

 

Als sie eintrafen, war das Geschehen in vollem Gange. In einem Saal an einem Tisch auf der Empore saßen einige honorige Damen und Herren und hielten Reden. Ein grauhaariger Mann trug die grüne Paradeuniform des Försters aus dem Silberwald, ein anderer Herr hatte einige Auszeichnungen an seinem Revers, schien aber an dem ganzen Geschehen wenig Interesse zu haben, denn er schrieb fleißig SMS. Ein „bunter Vogel“ in Clowns-Montur war noch von der scheinbar vorangegangenen Debatte so erregt, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. Eine behäbige Frau war gerade dabei, einen Vortrag über Vererbung zu halten.  Hannah, die schon durch ihr Studium an diesem Thema interessiert war, hörte aufmerksam zu und als die Frau einige Male die Formulierungen „monogam und polygam“ verwendete, wagte sie die Rednerin zu korrigieren: „Sie haben sich bestimmt versprochen, sie wollten bestimmt „monogen und polygen“ sagen“.  Das war zu viel des Guten. Ab diesem Zeitpunkt wurden die beiden jungen Frauen ignoriert.

 

Sie ließen dennoch Diskussionen über mangelnde Vorstehanlagen und zu wenig Raubzeugschärfe, Zuchtverstöße sowie Mitgliederausschlüsse über sich ergehen, ohne deren Sinn zu verstehen und hörten sich zusätzlich noch einen Schlagabtausch über unterschlagene Finanzen an. All das geschah in der Hoffnung, dass es  endlich um Hunde gehen würde, denn dafür waren beide ja angereist.

 

Black  begann so langsam zu quengeln und Stella forderte einen jungen Rüden, der am Tischbein angeleint war, zum Spielen auf.

 

Und die beiden jungen Frauen warteten immer noch, dass  endlich das Besondere und Liebenswerte dieser Hunde in den Fokus der Diskussionen gestellt werden würde. Vergebens.

 

Maren platzte so langsam der Kragen. Sie machte laut den Vorschlag, dass alle Anwesenden ihre Hunde aus den Fahrzeugen auf dem Parkplatz ausladen und man zu einem gemeinsamen Spaziergang aufbrechen sollte. Dieser Einwurf wurde einfach überhört und die Honoratioren fuhren mit dem Gezeter fort.

 

Auf dem Tisch lagen Hefte mit ansprechenden Welpenbildern. Hannah begann zu blättern und erfreute sich an den putzigen kleinen Köpfchen mit den schwarzen Näschen und neugierigen Blicken der Kleinen. Erinnerungen kamen hoch und sie strich Black sanft über den Kopf.

 

Doch plötzlich hielt sie inne, sie traute ihren Augen nicht. Eine ganzseitige Anzeige wirkte für sie wie ein Schlag ins Gesicht:

 

Herr Glotz im Lodenjanker mit einem Welpen auf dem Arm und Tara an der Leine. Bildbeschriftung: Alt oder Jung. Wir lieben unsere Hunde auf ewig.

 

Hannah knallte das Heft auf den Tisch und verließ mit Black den Raum. Stella und Maren folgten ihr.

 

Auf dem Parkplatz holte sie der traurige Papagei vom Rednerpult ein und machte ihnen in einem scharfen Ton klar, dass dieses Verhalten das nächste Mal  nicht toleriert werden würde und versöhnlich fügte er, in dem er Hannah ansah, hinzu: „Dieser schwarze Fleck ist eine Beleidigung der Rasse, lassen sie ihn wegmachen. Dafür gibt es Spezialisten. Es dürfte nicht komplizierter sein, als einen Zahn zurechtzurücken, einen Silikonhoden einzupflanzen oder Kehlhaut zu entfernen.“

 

Da vielleicht auch Kinder diese Geschichte lesen könnten, möchte ich ihnen Hannahs eindeutige Geste, mit welcher sie diesen Vorschlag „quittierte“, vorenthalten.

 

Auf der Rückfahrt saßen Hannah und Maren lange schweigend nebeneinander im Auto. Black und Stella balgten sich auf dem Rücksitz.

 

An einer Raststätte tranken sie schweigend einen Kaffee. Hannah fand als erste ihre Sprache wieder:

 

„Ist Dir eigentlich aufgefallen, dass wir beide die einzigen jungen Menschen in diesem Raum waren?“, sagte sie zu Maren. Diese meinte, dass dies nicht verwunderlich sei, denn wer in ihrem Alter ließe sich einfach so  kontrollieren, reglementieren oder Vorgaben machen.

 

Die Zucht mit Hunden, die man liebt, sei eine Herzenssache, für die man Verantwortung tragen müsse, für die man aber solchen Menschen gegenüber keine Rechenschaft ablegen muss.

 

Sie fügte noch hinzu, dass Gemeinschaften heute  manchmal schon oberflächlich seien, besonders wenn es um Social Media ginge. Aber wenigstens habe man die Möglichkeit, unerwünschte Kontakte durch einen Mausklick zu löschen. Dieses Theater aber, das sie beide erlebt hatten, passe nicht mehr in unsere Zeit.

 

Auch meinte sie, dass wenn  sie nach ihrem Studium sich von Stella  Nachwuchs wünschen würde, sie keinen  zweifelhaften Berater brauchen würde und dass sie hoffe, mit Hannahs Unterstützung rechnen zu können.

 

Und zwinkernd fügte sie nach hinten blickend hinzu: „Über den Rüden muss ich mir keine Gedanken machen, ich glaube die beiden üben schon.“

 

Hannah erwiderte noch, dass sie hoffe, dass alle Welpen einen schwarzen Fleck hätten.

 

Über diesen Gedanken amüsierten sich beide köstlich und am Abend bei einem Glas Wein in der Innenstadt hatten sie ihre gute Laune wiedergefunden.

 

 

 

Hannah war durch ihre Liebe und Fürsorge für dieses wunderbare Geschöpf Hund stets begeistert, wenn sie Menschen traf, die ihre Leidenschaft teilten.  Nach der vermeintlichen Rettungsaktion und dem Reinfall bei dieser Veranstaltung, kam sie aber ins Grübeln und sie nahm sich vor mit Fremden etwas mehr Vorsicht walten zu lassen, selbst wenn diese einen Hund an der Leine hatten.

 

Wenn sie bei ihren Spaziergängen Menschen mit Hunden traf, hörte sie sich dennoch die Geschichten der Hundebesitzer an und häufig offenbarten sich Schicksale, die sie nachdenklich stimmten. Viele der Hunde stammten aus Rumänien, Ungarn, Spanien oder Italien. Hannah konnte sich oft des Eindrucks nicht erwehren, dass sie, obwohl sie mit der Rute wedelten, einen traurigen Blick hatten.

 

Gut, dass es Maren und Stella gab. Beide Frauen konnten sich oft ohne zu sprechen  an  dem Spiel von Stella und Black ergötzen.

                          Stella und Black

 

Wenn sich beide dann erschöpft zu ihren Füßen niederwarfen, wussten sie, dass es Zeit war, das Skript einer Vorlesung durchzuarbeiten.

 

Für den Leser könnte versehentlich der Eindruck entstehen, dass sich in Hannahs Leben alles um Studium und Setter drehte. Weit gefehlt. Hannah und Maren waren oft in den Studentenkneipen der Stadt inmitten vieler junger Leute anzutreffen. Für Black und Stella stand stets eine Schüssel mit Wasser unter dem Tisch und beide freuten sich über viele streichelnde Hände. Manchmal hatte es den Anschein, dass die hier eine junge Tierarztgeneration für ganz Europa sich verabredet hatte.

 

An einem Samstagabend ging es hier hoch her. Eine spanische Studentin Maria feierte ihren Examensabschluss und gleichzeitig ihren Abschied, denn sie wurde bereits auf dem Gestüt ihres Vaters in Andalusien erwartet, da der  alte örtliche Tierarzt, der die Pferde betreute, in Rente ging.

 

Maria nahm Black, an dem sie einen Narren gefressen hatte, in den Arm und sagte: „Du bist schön wie ein stolzer Araber und du hast die gütigen Augen meines ersten Reitpferdes, auf dessen Rücken ich schon saß, bevor ich laufen konnte und jetzt werde ich dich vielleicht nie mehr sehen.“ Sie drückte Black, der ihre Worte wahrscheinlich verstand, aber ganz sicher ihre Zuneigung spürte, einen Kuss auf die Schnauze.

 

Für einen Augenblick waren alle still, denn die ausgelassene Stimmung schien der Trauer über den Abschied zu weichen.

 

Doch dann ergriff Maria ihr Glas, blickte in die Runde und rief: „Ich lade euch alle im Sommer zu meiner  Verlobung nach Spanien ein, ihr alle sollt meine Gäste sein. Wir haben Platz genug und Stella und Black werden sich mit den English Settern  meines Vaters sicherlich  hervorragend vertragen. Ihr müsst mir versprechen zu kommen.“

 

Alle hoben die Gläser und prosteten Maria zu.

 

 

 

Hannah und Maren fanden auch in den kommenden Tagen, als die Feierstimmung verflogen war und der Studienalltag die beiden wieder eingeholt hatte, die Idee, Maria in Spanien zu besuchen, weiterhin gut und sie begannen Pläne zu schmieden.

 

Vorerst aber stand Ostern vor der Tür und Hannah hatte ihren Eltern versprochen, das Osterwochenende zu Hause zu verbringen.

 

Sie konnte zwar dieser religiösen Tradition wenig abgewinnen, denn die Kreuzigungsgeschichte machte sie als Kind schon traurig. Aber die im Garten versteckten bunten Eier zu suchen, war immer ein Heidenspaß und ihr Vater war stets darauf erpicht, diese so gut wie möglich zu verstecken.

 

Viele Kinder  der kleinen Gemeinde  beteiligten sich an dem Ostereier-Wettessen, das Herr Glotz jedes Jahr in seinem Garten veranstaltete. Überall hingen bunte Girlanden und im Wintergarten standen bunte Blumengestecke. Die Gitterstäbe der Hundezwinger wurden mit grünen Plastikplanen zugehängt, um angeblich die Tiere nicht zu beunruhigen. In Wirklichkeit wollte man den Nachbarn aber keinen Einblick in diese tristen Räume gewähren.

 

Hannah nahm als Kind nur einmal an diesem Spektakel, das häufig mit Bauchweh für die Beteiligten endete, teil. Sie konnte der Sache auch keinen Reiz abgewinnen und schob heimlich die gekochten Eier, nachdem sie sie geschält hatte, an der Plane vorbei durch die Gitterstäbe den Hunden  zu.

 

In diesem Jahr wurde im Garten von Hannahs Elternhaus die Suchzeremonie etwas abgewandelt. Versteckt waren Kauknochen im Rasen und Black und Tara hatten keine Mühe sie alle problemlos zu finden. Wie gerne hätte sie auch einige Kauknochen an die Zwingerhunde von nebenan verteilt, doch dies war nach der Konfrontation mit Herrn Glotz nicht mehr möglich.

 

Also nahm sie am späten Vormittag Black an die Leine und streifte durch die Felder. Die Obstwiesen standen in voller Blütenpracht und die Weizenfelder  waren ein Meer von sattem Grün.

 

Sie ließ sich mit Black auf einem vertrockneten Stamm unter einer alten Weide nieder. Der Boden war mit abgefallenen Weidenkätzchen bedeckt und die Äste, die bis zum Boden hingen, trieben die ersten zarten Blätter.

 

Hannah genoss die Ruhe und sie wäre fast eingenickt, wenn Black nicht plötzlich vorsichtig seinen Platz an ihrer Seite verlassen und sich katzenartig in Richtung Feld bewegt hätte.

 

Von ihrem Versteck sah Hannah mitten im Feld einen Hasen, der  auf seine Hinterbeine gestützt neugierig zu ihnen rüber sah. Nichts geschah.

 

Black stand regungslos und der Hase verharrte in seiner Position.

 

Als Black sich vorsichtig nach vorne bewegte, wurde es dem Hasen mulmig, er schlug einige Haken und suchte das Weite. Black hätte ihn wahrscheinlich gerne „begleitet“, doch Hannah mahnte ihn zur Ruhe: „Du wirst doch nicht den einzigen wirklichen Osterhasen, der uns einen Besuch abstattete, verscheuchen, oder?“

 

Black verstand und blieb an ihrer Seite und Hannah genoss ihr  Ostererlebnis.

 

 

 

Mit Beginn der Semesterferien war es so weit. Hannah und Maren waren dabei ihre Reisepläne in die Tat umzusetzen. Das Wochenende vor der Abreise verbrachten sie bei Hannahs Eltern in Süddeutschland.

 

Natürlich mussten sie die gut gemeinten Ratschläge,  die verknüpft waren mit vielen Geschichten  und Erinnerungen, über sich ergehen lassen. Besonders Hannahs Vater, der durch seine Gastvorträge die europäischen Metropolen sehr gut kannte, war nicht zu bremsen. Am folgenden Montagmorgen ging es dann los - mit dem PKW über die Schweiz nach Frankreich und dann weiter nach  Spanien. Alles war so terminiert, dass sie rechtzeitig zu Marias Verlobung ankommen würden.

 

Die Reiseroute war genau festgelegt: Zürich – Luzern-Vierwaldstätter See, Gotthard dann über Berner Alpen zum  Mont Blanc, weiter  nach Frankreich über Grenoble, Montpellier, weiter nach Barcelona, Valencia, Murcia und Granada zum Landsitz von Marias Eltern in der Nähe von Ronda.

 

Das Gepäck war im Kofferraum gestapelt, denn auf dem Rücksitz des Autos war für Stella und Black ein bequemes Bett gerichtet. Natürlich lagen auch alle Assessoires zum Anschnallen bereit, denn man wollte auch für die Sicherheit der beiden Vierbeiner Sorge tragen.

 

Eine lange Reise stand den beiden jungen Frauen bevor und wer gedacht hätte, dass in letzter Minute Bedenken aufkommen würden, wurde eines Besseren belehrt, denn beide waren fest entschlossen ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen und ihre Begeisterung war grenzenlos.

 

Die erste Übernachtung war in Luzern am Vierwaldstätter See geplant, doch hier gab es bereits die erste Überraschung als sie die Empfangshalle des Hotels betraten und die Dame an der Rezeption ihnen mitteilte, dass Hunde in ihrem Haus nicht erlaubt seien.

 

Die beiden Setter aber alleine über Nacht im Auto zu lassen, kam für die beiden Frauen überhaupt nicht in Frage, also verließen sie ziemlich empört das Hotel und fuhren zum See, um in Ruhe zu beratschlagen und um die Hunde nach der langen Fahrt  einmal richtig toben zu lassen.

 

Doch weit verfehlt, denn überall gab es rot umrandete Schilder mit einem schwarzen Schäferhundekopf: „Hunde verboten“. So hatten sie es sich nicht vorgestellt. Ratlos saßen sie auf einer Bank, als sich ihnen eine Frau auf der Promenade mit einem Setter an der Leine näherte( Später erfuhren die beiden, dass der Setter eine Hündin mit dem klangvollen Namen Mela war).

 

Maren sprach die Dame an und fragte sie um Rat, ob sie vielleicht wisse, wo es hier Hotels gäbe, die auch Hunde akzeptieren würden.

 

Die Frau lächelte und sagte: „Natürlich gibt es welche und ich kenne ein nettes Gasthaus, dessen Besitzer ein ausgesprochener Hundeliebhaber ist, soll ich für Euch  anrufen?“

 

Die beiden Frauen freuten sich über das Angebot und in kurzer Zeit hatte die Frau  für die beiden ein Zimmer reserviert. Jetzt ging es ihnen schon wesentlich besser.

 

In der Zwischenzeit hatten sich Stella und Black mit Mela angefreundet. Besonders Black war von der schönen Mela angetan.  Diese fand ihn scheinbar auch gut, denn ihre Zunge strich liebevoll von Zeit zu Zeit über den schwarzen Fleck am Hals von Black. Die Frau meinte, dass Mela diesen wohl für etwas Besonderes hielt, da bei allen anderen Setter, die sie kannte, dieses schwarze „Tüpfelchen auf dem I“ fehlte.

 

Später fuhren sie mit Melas Besitzerin zu einer Wiese, die etwas außerhalb am See lag und die drei Setter konnten dort richtig toben. Jetzt war besonders Stella in ihrem Element, die sich vorher von Black etwas vernachlässigt fühlte.

 

Nachdem sich Hannah und Maren von der Schweizer Dame  verabschiedet hatten und man zuvor die Handynummern ausgetauscht hatte, fuhren die beiden in das Hotel und sie wurden freundlich empfangen.

 

Am Abend fanden sie in der Altstadt ein gemütliches Lokal, doch an ein ausgiebiges Menü war nicht zu denken, da die beiden Studentinnen von den Schweizer Preisen doch etwas überrascht waren.

 

Sie bestellten, wie sie es auch in Gießen gewohnt waren, eine Bratwurst und ein Glas Wein.

 

Ein freundlicher Kellner brachte für die Hunde eine Schale mit Wasser und er fragte höflich, ob er für die „Gäste unter dem Tisch“ auch einen Happen bringen dürfte, da man den beiden ja nicht zumuten könnte, dass sie zum Zugucken verurteilt wären.

 

Hannah und Maren bedankten sich, denn sie fanden die Idee gut. Angenehm überrascht waren sie dennoch, als sie sahen, dass er für Stella und Black die gleiche gebratene Rindswurst brachte, die sie auf ihren  Tellern hatten, natürlich kostenlos.

 

Darüber amüsierten sich die beiden, obwohl sie sich nichts anmerken ließen. Sie versprachen dem charmanten Kellner auf ihrer Rückreise aus Spanien hier wieder einzukehren. Den Affront im ersten Hotel konnten sie bei diesem Ausklang problemlos wegstecken und Luzern wird ihnen in guter

 

  

 

Am nächsten Tag fuhren Hannah und Maren weiter. Hannah hatte sich in den Kopf gesetzt, auf dieser Reise unbedingt einen Abstecher zum St. Gotthard-Pass zu machen. Deshalb buchten sie rechtzeitig den Autozug von Andermatt nach Brig, um danach über das Rhonetal nach Grenoble zu fahren.

 

Vor dem Gotthard-Pass verließen sie die Autobahn und fuhren die Passstraße hoch.

 

Wie oft hatte ihr Vater die Geschichte von der Schneeballschlacht mit seiner dreijährigen Tochter mitten im Sommer auf dem Gotthard erzählt und Hannah hatte stets bezweifelt, dass es im Hochsommer in den Alpen überhaupt Schnee gab. Jetzt wollte sie sich selbst überzeugen. An einem schattigen Hang gab es wirklich Schneereste und  Black und Stella jagten voller Begeisterung den Schneebällen hinterher. Für Hannahs Vater gab es natürlich ein kurzes Handyvideo. Am späten Nachmittag kehrten sie in ihre kleine Pension in der Nähe von Andermatt zurück.

 

Am nächsten Abend kamen sie  in Grenoble an und sie waren froh nach einigen Versuchen eine Übernachtung gefunden zu haben.

 

Am darauf folgenden Morgen fuhren sie rechtzeitig los, denn beide wollten sich unbedingt in Südfrankreich noch einen kurzen Abstecher zum  Meer gönnen.

 

Kurz vor Montpellier verließen sie die Autobahn und eine halbe Stunde später hielten sie an einem herrlichen Sandstrand. Meer und Sand soweit das Auge reicht und in der Ferne die fremdartig anmutenden Silhouetten einer futuristischen Stadt.

 

Black und Stella lieferten sich ein Wettrennen im heißen Sand und anschließend gruben sie sich hinter einer Sanddüne in die weiche Erde, um etwas Kühlung zu finden.

 

Immer wieder kamen freundliche Menschen vorbei, wenn sie die beiden  Setter sahen und baten, die beiden Hunde einmal streicheln zu dürfen, da sie ja so hübsch wären.

 

Hannah und Maren waren von dieser charmanten französischen Hundeliebe begeistert: „So tierlieb sollten mal die Deutschen sein“, polterte Maren los.

 

Beide saßen auf einem verlassenen Boot, das durch Wind und Sonne ausgebleicht und halb von Sand bedeckt war und sahen ohne zu sprechen dem Treiben der Brandung zu. Riesige Wellen, die sich in der Ferne aufstülpten und je näher sie zum Strand kamen zahmer wurden, um langsam im Sand in einem kleinen Rinnsal zu versickern.

 

Einzelne Fischer hatten ihre Angelruten ausgeworfen. Sie saßen  im Sand neben ihren riesigen Angelstöcken und dösten vor sich hin. Der Fang schien ihnen auch nicht besonders wichtig zu sein. Wahrscheinlich hätte ein plötzliches Reißen an der Angelschnur sie nur aus ihrer verträumten Lethargie gerissen.

 

Ein großer alter Hund saß  regungslos, wie in Stein gemeißelt,  im feuchten Sand. Sein Blick war unentwegt auf das Wasser gerichtet. Er wollte scheinbar den Mann, der weit draußen schwamm, nicht aus den Augen verlieren.

 

Als der „Schwimmer“ zum Strand zurückkam, erhob sich auch der Hund und vollführte einen lautstarken Freudentanz um seinen Besitzer.

 

Black und Stella wollten sich den Spaß nicht entgehen lassen und sie gesellten sich dazu. Darüber war der alte Rüde in seiner plötzlichen Euphorie nicht sehr erfreut, denn jedes Mal, wenn die beiden dem jungen Mann zu nahe kamen, wies er sie kläffend  zurecht.

 

Hannah und Maren versuchten die beiden spielwütigen Setter zurückpfeifen, doch der Mann entschuldigte sich für seinen Hund und als er merkte, dass die beiden jungen Frauen Deutsche sind, erzählte er in einem Deutsch mit dem charmanten französischen Akzent die traurige Geschichte seines vierbeinigen Freundes .

 

Der Hund wolle ihn nur verteidigen und beschützen und dass er nicht zum Spielen mit anderen Hunden zu begeistern sei, läge auch an seinem Alter, aber hauptsächlich an seinen Verletzungen.

 

Der junge Mann berichtete, dass er den Hund aus einer Tötungsstation gerettet habe.

 

Dieser habe scheinbar bei einer Jagd eine Schrotsalve voll abbekommen, so dass er an einem Auge erblindet sei und sein ganzer Körper mit Schrotkugeln, die in die Haut eingewachsen waren, übersät war. Da er für die Jagd nicht mehr zu gebrauchen war, wurde er auf einer Autobahnraststätte angeleint. In Frankreich ist es gesetzlich erlaubt, eingefangene oder aufgefundene Tiere nach Ablauf von zehn Tagen einzuschläfern, wenn sich kein Besitzer findet.  

 

Besonders auf dem Land vermehren sich Hunde oft unkontrolliert. Sie landen dann in den "fourrières", den Auffang- und Tötungsstationen,  in denen dann nach Ablauf der gesetzlichen Frist  die Tiere getötet oder an ein Tierheim weiter gegeben werden dürfen.

 

Tierheime sind aber nur an gesunden jungen Tieren interessiert, die sich eventuell vermitteln lassen, da sie die Kosten für das Tier selber tragen müssen.

 

In Frankreich geschieht das nicht selten mit Jagdhunden oder Jagdhundmischlingen, meinte der junge Mann, da Jagd hier ein beliebter Freizeitsport sei und der Stellenwert eines Jagdhundes  an seiner Leistung gemessen wird.

 

Hannah war den Tränen nahe und Maren streichelte aus verzweifelter Ratlosigkeit Stella immer wieder über den Kopf.

 

Sie dachte nur, wie könne das in einem Land mit so vielen tierlieben Menschen, die besonders für Hunde so viel Zuwendung zeigen, überhaupt möglich sein?

 

Der junge Franzose sah die Ergriffenheit beider Frauen und er versuchte das Thema zu wechseln:

 

„Mein Opa hatte auch zwei Setter, aber keiner hatte solch  einen   speziellen schwarzen   Punkt am Hals, das ist Individualität. Nur im Kommunismus oder vielleicht zur Zeit der französischen Revolution war alles gleich“, meinte er spaßhaft, vielleicht auch nur von diesem traurigen Thema abzulenken.

 

Der alte Hund hatte sich während des Gesprächs auch schon mit den Settermädchen angefreundet, da er merkte, dass sie ihm seinen Besitzer nicht ausspannen wollen.

 

Anschließend tranken sie noch zusammen einen Pastis an der Strandbar und der junge Mann versicherte den beiden immer wieder, dass er die schlimme Geschichte seines Hundes ad acta gelegt habe, da das Heute und Jetzt zähle und er und sein Hund das perfekte Paar wären.

 

Zum Abschied tauschte man die Handynummern, es gab es noch die hier typischen Küsschen und Hannah und Maren machten sich auf den Weg zum Hotel.

 

Nach dem Abendessen auf der Terrasse des Jugendhotels saßen beide schweigend und verfolgten die glutrote Sonne, die immer tiefer wurde, bevor sie mit einem letzten Aufbäumen im Meer verschwand. Der alte Hund und sein furchtbares Schicksal aber ließ sie noch lange nicht los.

 

Am nächsten Morgen, kurz bevor die beiden Frauen losfahren wollten, klingelte Hannahs Handy. Der junge Franzose mit dem alten Hund, der übrigens Pierre hieß, erkundigte sich nach dem Befinden der beiden „deutschen Mademoiselles“ und bot ihnen ganz spontan an, ihnen die Camargue zu zeigen: „Dieses einzigartige Stück Erde kann man nicht einfach so „traversieren“, man muss es spüren und fühlen“, meinte er.

 

Natürlich willigten die beiden Frauen ein.

 

Sie verabredeten sich mit Pierre zu einem Frühstück in Aigues Mortes, dieser mittelalterlichen, Kreuzfahrerstadt mit quadratischem Grundriss und einer beeindruckenden vollständig erhaltenen Stadtmauer,  schmucken Gässchen und dem Tour de Constance mit seiner gruseligen wechselvollen Geschichte.

 

Pierre konnte mit Mühe einen Tisch auf dem Place St. Louis, nach dem Kreuzfahrerkönig benannt, ergattern, denn in dem schmucken Städtchen war die Hölle los. Es fand mal wieder, wie so oft, ein Stiertreiben für die zahlreichen Touristen statt. Junge Männer auf stolzen weißen  Pferden trieben einige schwarze Camargue-Stiere durch die Straßen der Stadt. Jeder Vergleich mit der Hysterie von Pamplona wäre falsch, denn die Musterstiere kannten scheinbar ihren Weg und sie machten das Spiel, das für sie wahrscheinlich auch Abwechslung vom langweiligen „Weidealltag“ war, mit.

 

Nur Black und Stella verkrochen sich unter dem Tisch, da ihnen dieser tobende Lärm nicht geheuer war. Pierres „alter Knabe“ ließ sich davon aber nicht beeindrucken. Er wartete zielstrebig auf einen Leckerbissen, der vom Tisch in seine Richtung gleiten könnte.

 

Als sie von dem Schauspiel genug hatten, bot der charmante Franzose den beiden an, ihnen mit seinem Motorboot einen Einblick in die wilde Landschaft der Camargue mit ihren Salzwiesen, Seen und den zahlreichen verzweigten Kanälen zu gewähren.

 

Sie verließen durch eines der imposanten Stadttore den Volksfesttrubel und Pierre schlug die Richtung zum Kanal, der fast die Stadtmauer streifte, ein. Hier lagen die unterschiedlichsten Boote  vom Fischerkahn bis zur luxuriösen Jacht.

 

Pierre  ging zielstrebig auf ein protziges Gefährt zu, Hannah und Maren staunten nicht schlecht, im letzten Augenblick drehte er aber mit einem Augenzwinkern ab und sprang in sein kleines Motorboot, das neben dem Koloss lag.

 

Auf jeden Fall war Platz genug für drei Menschen und drei Hunde. Pierre steuerte geschickt sein  Boot durch den Kanal, der aus der Stadt in die „Wildnis“ führte. Ein Schwarm zahmer Enten begleitete sie, wahrscheinlich in der Hoffnung, einige Brotreste zugeworfen zu bekommen. Black und Stella wurden immer unruhiger, den alten Haudegen ließ das Entengeschnatter kalt.

 

Ein Schilfgürtel umrahmte die Wasserlandschaft und wenn das Boot dem Ufer zu nahe kam, flitzten quirlige Teichhühner aus ihren Verstecken auf das offene Wasser.

 

An einer Steilwand schwirrten Bienenfresser aus ihren Niströhren, scheinbar empört über die lästigen Menschen, die mit ihren Booten ihr Treiben störten. 

 

Ein Touristendampfer bahnte sich ebenfalls seinen Weg durch die wilde Natur. Neugierige Menschen beugten sich über die Reling, um einen Einblick in das kleine Boot mit den drei Menschen und den Hunden zu erhaschen.

 

Und dann war es geschehen. Der Strohhut einer neugierigen Dame „verabschiedete sich“ von ihrem Kopf, der Mistral, dieser verrückte Wind des Südens,  hatte hierzu natürlich auch seinen Beitrag geleistet.

 

Black, der fasziniert das fliegende Objekt auf dem Wasser landen sah, ließ es sich nicht nehmen durch einen Sprung aus dem Boot dieses wieder einzusammeln.

 

Stolz drehte er schwimmend seine Kreise mit dem Strohhut in der Schnauze. Hannah war verzweifelt. Wild gestikulierend versuchte sie Black die Richtung zum Boot zu zeigen.

 

Auch Maren war hilflos, sie behielt Stella im Auge, um bei ihr eine Nachahmungsaktion schnell zu unterbinden.

 

Pierre blieb ruhig, er steuerte geschickt sein Boot auf  den Setter zu und zog ihn mit einem Ruck am Halsband über die Planke. 

 

Anschließend legte er mitten in diesem grünen Dschungel an einem improvisierten Bootssteg an, befestigte sein Boot an einem alten Baumstamm und tauchte in die Kajüte ab, um mit einer Flasche Gris de Gris (ein Roséwein der Gegend) und drei Gläsern wieder zu erscheinen´: „Für die glückliche Rettung, Santé oder Prosit, wie ihr sagt“, scherzte er und schenkte ein.

 

Das Boot, das im Schilf versteckt lag, bot die perfekte Möglichkeit, das Umland mit seiner Fauna und Flora zu beobachten.

 

Eine Kette wuseliger Rothühner, sie zählen zu den schönsten Tieren, die die Natur geschaffen hat, scharrten im trockenen Boden nach Insektenlarven. Eine Fasanenhenne führte ihre Küken, es waren sieben oder acht, zum Trinken an den Kanal. Vorwitzige Kaninchen stellten sich auf die Hinterbeine, um das Umfeld im Blick zu haben, denn die fremden Düfte, die aus der Richtung des Bootes kamen, bedeuteten für die kleinen Hüpfer nichts Gutes.

 

Auch Black und Stella hatten ihre hoppelnden Gegenüber in der Nase, doch es war ihnen bewusst, dass sie jetzt angeleint waren und jeder Versuch, die Bekanntschaft der Kaninchen zu machen, nicht zu realisieren war. Also machten sie es dem „alten Haudegen“ nach und legten sich an die Bootswand, um etwas vor der intensiven Sonne geschützt zu sein und dösten vor sich hin.

 

Auf der Rückfahrt sahen sie noch eine brütende Ente auf ihrem Nest im Schilf und Black und Stella verharrten einmal mehr in ihrer eleganten Vorstehpose, die Setter so einzigartig macht.

 

Den Abend verbrachten sie in Les Saintes Maries de la Mer. Bevor sie sich in einem der gemütlichen Gartenrestaurants zum Essen niederließen, zeigte Pierre den beiden deutschen Mademoiselles die Wehrkirche mit der pompös eingekleideten Heiligen Sarah, die Schutzpatronin des fahrenden Volkes und mit dem großen Marmorohr in der Wand vor der Statue der Mutter Gottes.

 

„Hier könnt ihr alle geheimen Wünsche hineinsprechen und hoffen, dass sie in Erfüllung gehen. Die vielen Täfelchen mit den Danksagungen beweisen, dass dies scheinbar der Fall ist“, meinte Pierre.

 

Hannah, die normalerweise von Wundern und Weissagungen wenig hielt, war dennoch  überwältigt von der geheimnisvollen Atmosphäre dieser Kirche.

 

Sie hauchte etwas verstohlen in die geheimnisvolle Öffnung an der Wand:

 

„Ich wünsche mir so sehr, dass alle Welpen, die in dieser Welt geboren werden, ein gutes Zuhause bei tierlieben, freundlichen Menschen finden." Am nächsten Tag wollten  Hannah und Maren ihre Reise fortsetzten. Doch Pierre hatte ihnen geraten, die Camargue nicht zu verlassen, ohne vorher die alte Kathedrale von Maguelone und  das herrliche Umland mit seinen Weinbergen, Seen  und dem einzigartigen Meer besichtigt zu haben.

 

 „Und vergesst bitte nicht am nahen Strand einige von den flachen, grünen Steinen zu sammeln. Sie sollen angeblich gegen Krankheiten schützen. Seht mal, mein „alter Knabe“, wie ihr ihn nennt, trägt auch einen grünen Stein an seinem Halsband.

 

Er heißt übrigens  „Coup de Feu“, was auf Deutsch Flintenschuss bedeutet. Ein verrückter Name, den sie ihm aufgrund der vielen Schrotkörner in seinem Körper im Tierheim gegeben habe, den ich  aber  als Erinnerung und aus Trotz wegen seines tragischen Schicksals beibehalten habe. Ihr seid die einzigen, die nicht nach seinem Namen gefragt haben.

 

Jeder neugierige Franzose will zuerst wissen, wie ein Hund heißt, und dann kann ich seine Geschichte erzählen. Vielleicht machen sich die Menschen dann Gedanken über das Schicksal dieser unglücklichen Tiere.“

 

So viel hatte Pierre vorher nie an einem Stück gesprochen, man merkte, dass das Schicksal der misshandelten Tiere sein Innerstes bewegte. Auch Hannah und Maren waren ergriffen.

 

Und plötzlich legte Hannah los: „Was ist das für eine EU? Wirtschaft, Globalisierung, Finanzmogule, soziale Netzwerke, die die Welt beherrschen und der normale Mensch bleibt auf der Strecke und die Tiere sind als Sache eingestuft. Ihren Wert bestimmen die Profiteure, die an der Ware Tier verdienen. Alles, was nichts einbringt, landet im Abfall. Männliche Küken, diese kleinen flauschigen  Wesen, werden millionenfach herzlos getötet und geschreddert. Lämmer werden auf überfüllten Containerschiffen über die Meere gekarrt, um geschächtet zu werden.  Ferkel werden ohne Narkose kastriert, die überflüssigen Haustiere landen in deutschen Tierheimen, in französischen "fourrières" oder in den spanischen „perreras”. Und nur weil all diese unglücklichen Tiere keine Lobby haben.

 

Maren, die bis jetzt ganz still war, warf nur eine Frage ein: „Und warum geschieht das? Weil wir es dulden. Lasst uns die Jugend Europas wachrütteln, lasst uns die sozialen Medien für unsere Ziele nutzen.

 

Suchen wir Mitstreiter in ganz Europa und stellen wir klare Forderungen an die „adrette Dame mit Püppchengesicht“, die angeblich so tierlieb ist und jedes Mal beim  CHIO Reitturnier Aachen in die Kamera lächelt.

 

Lasst uns auch mit Maria in Spanien sprechen, sie wird bestimmt dabei sein.“

 

„Deine Idee ist genial Maren und deshalb kann ich euch noch nicht ziehen lassen. Fahren wir nach Maguelone und in der Stille der Natur können wir an unserem Plan weiter arbeiten“, sagte Pierre und lud die Hunde schon ins Auto.

 

Nach einer halbstündigen Fahrt erreichten sie das Kloster, das auf einer Anhöhe mitten in den Weinbergen lag und von weitem war das handgemalte Schild „vin bio“ zu lesen.

 

Doch das war noch lange nicht alles. Die alte Klosterkirche schien einem Handbuch des Mittelalters entliehen. Die vielen Pfauen, die herumstolzierten, symbolisierten die Reste eines längst verklungenen Adelsgeschlecht. Einige hundert Meter weiter bewegten sich die silbernen Wellen des Meeres ohne großes Getöse Richtung Strand.

 

In  dem grünen Weinlaub versteckten sich schwarzblaue Merlot-Trauben.

 

Plötzlich aber hielt Stella an, ihr Kopf war in Richtung Weinberge gerichtet, sie bewegte ihre Nüstern und kaute die Luft, um die Gerüche noch besser wahrnehmen zu können. Black stand bereits wie angewurzelt.

 

Keine zehn Meter entfernt, in den Weinbergen, wuselten die Rothühner davon. Ein Hahn mit seinem braunen Brustfleck hielt neugierig etwas inne, so dass Hannah ein herrliches Foto „schießen“ konnte.

 

Pierre erklärte den beiden, dass hier im Naturschutzgebiet die Rothühner, wie alles andere Wild, unter Naturschutz stehen und nicht gejagt werden dürfen. Natürlich haben sie sich an die günstigen Gegebenheiten angepasst und sind fast handzahm geworden.

 

Hannah stolzierte mit ihrem Smartphone stolz auf und ab, sie war glücklich. Endlich war es ihr gelungen, diesen herrlichen Vogel zu fotografieren.

 

An den Seen, die dem Meer vorgelagert waren, kämpften Möwen um die wenigen Nistplätze, weiße Reiher standen auf einem Bein, den Schnabel weit vorgebeugt und warteten auf die kleinen Fischchen, die sich zu Tausenden in dem flachen Wasser tummelten.

 

Die beiden Frauen konnten von dieser herrlichen Natur einer entrückten Welt nicht genug bekommen.

 

Für Pierre, wie übrigens für alle Franzosen, war aber auch das Abendessen mit seiner ausgezeichneten Fischsuppe, die es im Klosterrestaurant gab, wichtig:

 

„Wir müssen noch vieles besprechen und ihr wollt morgen abreisen? Dabei soll unsere Tierschutzaktion doch ein Erfolg werden. Suchen wir uns einen Tisch und nachdem wir bestellt haben, können wir uns weiter austauschen.“ So köderte er die beiden Frauen endlich Platz zu nehmen.

 

Sie aßen ausgezeichnet und kamen zu dem Entschluss, mit ihrer Aktion zuerst auf die Missstände in der Hundezucht und die Misshandlungen am „angeblich besten Freund des Menschen“ durch eben diesen hinzuweisen -  und das europaweit.

 

 Es folgte ein Abschied, der keinen Zweifel  Raum ließ, dass dies der Anfang einer wunderbaren Freundschaft war.

 

P.S.: Der Autor hat vergessen zu erwähnen, dass die drei Hunde vom Wirt mit angeblichen Hundespezialitäten verwöhnt wurden. Was es war, konnten Hannah und Maren nie in Erfahrung bringen. Es war eine riesige Portion und besonders Black hat es ausgezeichnet geschmeckt.

 

In den folgenden Tagen mussten Hannah und Maren die Zeit aufholen, die sie mit Pierre in der Camargue verbracht hatten, denn zu Marias Hochzeit wollten sie, koste es was es wolle, in Ronda sein, also planten sie, die meiste Zeit auf der Autobahn zu verbringen  und in kleinen Hotels auf den Raststätten zu übernachten..

 

Black und Stella waren darüber wenig erfreut, denn ausgedehnte Spaziergänge waren so nicht auf der Tagesordnung.

 

Auch Hannah fiel es schwer, wieder in den Alltag zurückzufinden und eines Abends, als die beiden Frauen vor dem Schlafengehen noch eine Flasche roten Montcalm aus der Camargue öffneten und Hannah in ihr Weinglas starrte, fragte sie Maren  ganz direkt und unverblümt: „Gib doch zu, dass dir Pierre fehlt.“ Hannah lief rot an und nickte.

 

„Meinen Segen habt ihr, du hast bestimmt gemerkt, dass Sebastian, der Assistent von Professor Hauler sich sehr um mich bemüht, übrigens schickt er mir jeden Abend eine WhatsApp als Gutenachtgruß“, fügte Maren hinzu  und plötzlich lachten beide los.

 

Dies wiederum verstanden die beiden Setter nicht,  obwohl es anzunehmen ist, dass gerade diese Hunderasse jedes Wort versteht, nur leider nicht über die linguistische Fähigkeit zu antworten verfügt.

 

Wahrscheinlich dachten sie jetzt nur, dass diese Menschen eigentlich doch sonderbare Wesen mit kleinen Geheimnissen sind.

 

Am nächsten Morgen wartete Hannah mit einer neuen Botschaft von Pierre auf, indem sie Maren das Smartphone hinhielt: „Macht eine Visite in Barcelona, ist wunderbare Stadt.“

 

Und Maren lästerte: „Befolgst du jetzt jeden seiner Ratschläge?“. In Wirklichkeit aber hatte auch sie sich bereits vorgenommen, Hannah diesen Vorschlag zu machen. Sie kannte Barcelona von der Abifahrt und hatte schon immer den Wunsch genau wie damals aus  dem Font de Canaletes zu trinken. Man sagt, dass derjenige, der von diesem Brunnen trinkt, immer wieder nach Barcelona zurückkehren würde. In Wahrheit wollte sie aber wahrscheinlich mit ihrer Stella die Rambla entlangschlendern oder in einem Café sitzen und die Gaukler und Straßenmusiker  beobachten.

 

Ein Markt in einer Seitenstraße erweckte die Neugier der beiden deutschen Frauen. Bunt gemischte Stände boten alles, was man sich nur wünschen kann: spanische Schinken- und Wurstspezialitäten, Gemüse aus der Region, natürlich auch ein buntes Kleidersortiment, wie es auf südländischen Märkten üblich ist. Ein großer Platz schloss sich nahtlos an die Marktstände an.

 

Plötzlich hielten die beiden Frauen inne, sie trauten ihren Augen nicht. Mitten auf dem belebten Platz stand ein Handkarren und zwei junge Männer boten Welpen zum Kauf an. Die Kleinen waren nicht älter als fünf Wochen und in einem erbärmlichen Zustand. Viele kleine traurige Augen blickten auf die Menge, die die Karre umringte.

 

Die beiden jungen Frauen waren sprachlos. Hannah zitterte am ganzen Körper und Maren tat das, was sie in verzweifelten Situationen immer tat, sie drückte Stella ganz fest an sich.

 

Im gleichen Augenblick kamen auch schon drei Polizisten, sie verlangten von den beiden Männern die Ausweise, welche diese natürlich nicht vorzeigen konnten, und beschlagnahmten die Welpen.

 

Maren versuchte in Erfahrung zu bringen, was jetzt mit den Tieren geschehe. Ein junger Polizist erklärte ihr auf Englisch, dass die Welpen wahrscheinlich von einem illegalen Transport aus Osteuropa stammten. In den letzten Wochen wurden bereits drei weitere Händler verhaftet. Es schien  sich um eine „Hundemafia“ zu handeln, die in ganz Europa tätig war. Der Polizist versicherte der aufgebrachten Menge, dass die Welpen  in ein Tierheim gebracht würden und nannte auch eine Anschrift. Interessierte könnten sich dort melden und nach einer Quarantänezeit auch einen Welpen erhalten.

 

Nach diesem traurigen Erlebnis war die gute Laune für die beiden dahin. Sie wollten nur noch so schnell wie möglich zurück zu ihrem Hotel, um sich für die Weiterfahrt auszuruhen. Wenn sie ihren Zeitplan, den sie bis jetzt schon einige Male verändert hatten, einhalten wollten, mussten sie am kommenden Morgen früh „aus den Federn“.

 

Im Hotel wartete die zweite Aufregung auf die beiden.  Am Morgen beim Frühstück war noch alles ruhig,  jetzt war die Eingangshalle überfüllt mit Menschen und jeder hatte einen Hund an der Leine.

 

Emsige Frauen versuchten ihre Doggen zu bändigen, Nackthunde kuschelten sich an junge, in Selbstbräuner getauchte  Männer mit künstlichem Blondschopf, Pudel im Modeschnitt keiften untereinander, hochgeschossene Pointer, die noch nie ein Weizenfeld gesehen haben, hielten demonstrativ ihre Nase hoch, so als würden sie im Wind laufen. Überall standen Drahtkäfige, die heute Zimmerkennel heißen, herum.

 

„Und  keine roten Setter“, sagte Maren immer wieder und ihre Augen suchten das Foyer ab.

 

Hannah konnte in Erfahrung bringen, dass ganz in der Nähe in einer Halle am kommenden Tag eine Prämierung für alle Hunderassen stattfinden wird.

 

„Ich will wenigstens für fünf Minuten hin und einige Irish Setter streicheln und danach brausen wir los, bitte Hannah, sei kein Spielverderber“, sagte Maren fast bettelnd.

 

Hannah war müde und sie wusste auch, dass Maren ein kleiner Sturkopf sein kann, also stimmte sie zu. 

 

Auch Black und Stella waren geschafft. Eine Großstadt ist nun mal nichts für Setter, die geboren sind, um mit wehendem Haar über grüne Wiesen zu laufen. Sie begnügten sich mit einem kleinen Spaziergang auf einer vertrockneten Grünfläche am Rande des Hotels, leerten anschließend ihre Futterschüsseln, um dann auf ihrer Decke einzuschlafen. Black schnarchte wie immer, nur diesmal vielleicht etwas  lauter und Stella fiepte wieder im Schlaf, vielleicht waren es aber auch Hetzlaute, die sie im Traum von sich gibt, wenn sie mal wieder eine Amsel jagt.

 

An Frühstück im Hotel war am folgenden Morgen nicht zu denken. Menschen mit Hunden an der Leine drängten sich zum Ausgang und die eine oder andere vier- oder zweibeinige Auseinandersetzung wurde oft in letzter Minute verhindert.

 

Hannah und Maren erreichten mit einem Kaffeebecher in der Hand über einen Hinterausgang den Parkplatz, packten ihre beiden Lieblinge ins Auto und fuhren los.

 

Natürlich hatte Hannah Marens Wunsch, bei der Prämierung  den Anblick von vielen Irish Settern zu genießen, nicht vergessen. Sie bog bei der nächsten Abfahrt auch den  Schildern folgend ab und in kurzer Zeit parkten sie vor einer Halle, dem Ort des Geschehens.

 

Stella und Black nahmen sie auch aus dem Auto, denn die Sonne stand hier im Süden schon am Morgen recht hoch und es schien ein sehr heißer Tag zu werden.

 

Auf dem Parkplatz entluden junge Frauen und Männer, manche mit schmucken Tattoos an Armen und Beinen, ihre Kleinbusse. Käfige wurden auf rollende Untersetzer gestellt und mit allen möglichen Hunderassen bepackt. Der Parkplatz war bereits mit unzähligen Hundehaufen „gepflastert“, da kein Löseplatz in der Nähe war.

 

Die beiden Frauen suchten in der Halle nach ihren roten Lieblingen. Sie trafen aber nur auf vielbeschäftigte Menschen. Ein junger Mann stand in einer Ecke an einem Bügelbrett und gab seinem Outfit den letzten Schliff.  In der Damen-Toilette drängten sich die jungen Frauen aus den Kleinbussen vor den Spiegeln, nachdem sie ihre Jeans durch knallrote schicke Kleider ersetzt hatten.

 

Herren mit ernsten Gesichtern, in etwas zu klein geratenen Anzügen, stolzierten über das Gelände, die Krawatte am Hals trotz  Hitze festgezogen.

 

Einzelne Besucher amüsierten sich über Blacks schwarzen Fleck und eine gepflegte ältere Dame mit spitzen Lippen, einer dunklen Sonnenbrille, in schicker Abendgarderobe und einem Richterschild am Revers, versuchte Maren in einem schlechten Englisch klar zu machen, dass die Farbveränderung an Blacks Hals ein gravierender Fehler sei und dass solch ein Hund disqualifiziert werden müsse.

 

Hannah hatte genug von dem Spektakel und gab Maren zu verstehen, dass sie am Auto warten würde, bis Maren die Setter endlich gefunden hatte.

 

Nach wenigen Minuten setzte  sich diese auf den Beifahrersitz und sagte zu Hannah: „Lass uns losfahren, jetzt reicht es auch mir.“

 

Während der Fahrt erzählte sie Maren, dass sie zwar keine Irish Setter gesehen habe, dafür aber rote Afghanen mit Stulpen und Mäntelchen, die auf den Setterring zusteuerten und die angeblich auch Setter waren. Und dann zeigte sie Hannah noch ein Foto auf ihrem Handy von dürren, kleinwüchsigen hellroten Hunden mit hellen „Fuchsaugen“, den  „berühmten“ irischen Jagdsettern.

 

Hannah lachte los und sagte nur: „Vielleicht sind diese Hunde auch lieb, aber für nichts auf der Welt würde ich meinen Black gegen diese Hunde eintauschen.“

 

Maren fügte noch scherzend hinzu: „Ist doch klar, ihnen fehlt der schwarze disqualifizierende Fleck. Schade, dass man Menschen mit schlechtem Charakter nicht disqualifizieren kann.“ 

 

Sie fuhren bis zur nächsten Raststätte, um sich einen zweiten Kaffee zu gönnen und um sich von dem morgendlichen Schock zu erholen.

 

Und hier bekam Maren überraschend einen echten Setter zu sehen, der Black zum Verwechseln ähnlich sah. Natürlich fehlte ihm der elitäre „disqualifizerende“ schwarze Fleck.

 

Er tauchte aus dem Nichts auf und zog seine Leine hinter sich her. Scheinbar hatte die Freude über den Anblick von Seinesgleichen ihn seinen üblichen Gehorsam vergessen lassen.

 

Sein Besitzer, ein schlanker Mann mittleren Alters, folgte ihm auf dem Fuß und entschuldigte sich für seinen ungestümen Begleiter, der von  Stella und Maren mit einer Selbstverständlichkeit aufgenommen wurde, so als wären sie alte Bekannte.

 

Eine schlanke, sportliche Frau mit einer Rauhaardackeldame an der Leine folgte den beiden und sagte auf Deutsch: „Wir  beide gehören auch dazu.“ Das „Eis war gebrochen“, man fand sich sympathisch.

 

Man schob zwei Tische zusammen, bestellte einen Kaffee und  das Gesprächsthema war ja auch nicht schwer zu erraten: „Setter, Setter, Setter“.

 

Die Frau amüsierte sich über den „schicken“ schwarzen Fleck an Blacks Hals, der etwas Besonderes sei und den sie zu Hause dem Setter ihres Mannes, der von Maren in Beschlag genommen wurde, „aufpinseln“ würde.

 

Hannah und Maren berichteten über ihre Reise, ihre Bekanntschaft mit Pierre und seinem alten Haudegen Coup de Feu und über ihren morgendlichen Schock in der Prämierungshalle.

 

Der Mann schien sich bei letzterer Thematik gut auszukennen und deutete an, dass ihm solche Erfahrungen nicht fremd seien und dass derartige Vorkommnisse für ihn und seine Frau auch der Grund seien, diese Veranstaltungen zu meiden.  

 

Nach einer Stunde verabschiedeten sich Hannah und Maren von dem deutschen Ehepaar, das  von  einem  Kurzurlaub aus Barcelona kam und auf der Heimreise war.

 

Man verabredete sich aber für ein Treffen in Deutschland.

 

Als die beiden jungen Frauen wieder im Auto saßen, meinte Hannah schnippisch: „Jetzt hattest du doch noch einen  Setter zum Verwöhnen, so als würden unsere beiden uns nicht genug Streicheleinheiten abverlangen."

 

Jetzt war Eile geboten, denn in zwei Tagen war Marias Hochzeit und die beiden Freundinnen wollten diesen Termin nicht verpassen. Eintausend  Kilometer lagen noch vor ihnen. Sie beschlossen die Küste entlang zu fahren und sich Valencia, Murcia und sogar Granada für den Rückweg „aufzuheben“.

 

Fünfhundert Kilometer pro Tag sind zu schaffen und die beiden Setter mussten sich mit kurzen Spaziergängen bei den Zwischenstopps begnügen. Diese akzeptieren ohne Murren, denn auch ihnen machte die Hitze zu schaffen. Gut, dass es Klimaanlagen für Fahrzeuge gibt.

 

Am Abend vor der Hochzeit kamen sie todmüde in Ronda an und wurden von Marias Familie mit der üblichen südländischen Gastfreundschaft empfangen.

 

Sich sofort zurückzuziehen wäre unhöflich gewesen und da sie die letzten beiden Tage  nichts Vernünftiges gegessen hatten, griffen sie bei den Tapas richtig zu. Der spanische Rotwein tat den Rest und als Maria mitbekam, dass Maren die Augen buchstäblich zufielen, brachte sie die beiden auf ihr Zimmer, stellte für die Hunde noch eine Schüssel Wasser bereit und verabschiedete sich schmunzelnd von ihren deutschen Freundinnen mit dem Satz: „In Deutschland ward ihr aber trinkfester als hier im Süden.“

 

Am folgenden Tag waren  schon am frühen Morgen alle auf der riesigen Finca   auf den Beinen. Die Kutsche wurde festlich geschmückt, die Pferde nochmals zu Hochglanz gestriegelt und auch  Stellas und Blacks Halsband wurde mit einer roten Schleife verziert.

 

Dann brach man nach Ronda zur Trauung auf.

 

Die Stadt, die auf einem  Felsplateau liegt, gehört  zu den  „weißen Dörfern“ Andalusiens und Maren hielt bei der Fahrt immer Ausschau,  ob sich nicht vielleicht doch  Rainer Maria Rilke oder Ernest Hemingway, die dem Zauber dieser Stadt erlagen, zur Hochzeit einfinden würden. Vergebens.  Dafür war aber „Carmen“ des Öfteren in den malerisch verwinkelten und schmalen Gassen zu sichten. Von einem Parkplatz  vor der Puente Nuevo aus setzte sich der Hochzeitszug in Bewegung. Maria in einem weißen bezaubernden Kleid, ihr Bräutigam in der traditionellen andalusischen Tracht mit roter Schärpe am  Hut, saßen in der mit Blumen geschmückten Hochzeitskutsche.

 

 Auf der Neuen Brücke,  ein  Wahrzeichen der Stadt, hielt man an, um Fotos zu machen.

 

Im Rathaus an der Plaza Duquesa de Parcent fand die Trauung statt. Stella, Black und ihre Besitzerinnen, die ihre Jeans durch schicke Kleider eingetauscht hatten, waren auch dabei.

 

Die anschließende Hochzeitsfeier mit mehr als hundert Gästen fand  im Bardal, eines der besten Restaurants der Stadt, mit zwei Michelin Sternen ausgezeichnet, statt.

 

 Kulinarische Finessen, französische erlesene Champagner und schwere spanische Rotweine zierten die Speise- und Weinkarte. Viele fröhliche Menschen prosteten ausgelassen dem Brautpaar zu.

 

 

 

Etwas abseits  saß ein älterer Herr mit schulterlangem grauem Haar allein an einem Tisch und lächelte zufrieden vor sich hin.

 

Zu seiner Rechten stand ein Sessel, auf dem „zusammengerollt“ ein alter English Setter auf seinem „Stammplatz“ schlief. Der ganze Trubel schien Herr und Hund nicht zu stören. (Von Marias Mutter hatte Hannah erfahren, dass dieser sonderbare Mann der Besitzer des Restaurants sei und viele Jahre in Deutschland gelebt habe).

 

Lediglich als Black versuchte, die „Bekanntschaft“ des alten Rüden zu machen, knurrte dieser leise aber bestimmt, so dass sich Black sofort zu Hannah zurückzog.

 

In einem guten Deutsch mit spanischem Akzent entschuldigte sich der Herr für seinen alten Hund, dem angeblich die Ruhe wichtiger sei als jugendliche Gesellschaft.

 

Anschließend bat er die beiden deutschen Frauen, doch bei ihm am Tisch Platz  zu nehmen. „Ein kleiner jugendlicher Anstrich tut uns beiden - und er zeigte auf den English Setter - bestimmt gut“, meinte er.

 

Hannah und Maren nahmen an und der alte Herr winkte einen Kellner herbei und bat ihn, ihn eine Flasche Rotwein aus seinem Privatkeller zu holen.

 

Anschließend wandte er sich wieder den beiden Frauen zu, streichelte Stella und Black sanft über den Kopf und sagte: „ Sie lieben ihre beiden Hunde und das ist schön, doch bei uns im Süden recht selten. Hier ist der Hund häufig ein Nutztier, das für die Jagd unentbehrlich ist. Aber ein Hund ist mehr als nur ein Jagdgehilfe, denn er ist ehrlich und hat eine Seele.“

 

Maren warf lächelnd ein, dass sich der alte English Setter über seine „privilegierte“ Position ja nicht beschweren könne.

 

Der Herr erwiderte fast flüsternd: „Er heißt Ara und er hat mir das Leben gerettet,  ich bin ihm zu ewigem Dank verpflichtet.“

 

Es folgte ein betretenes Schweigen. Nachdem der Kellner die Flasche Rotwein dekantiert und fast ehrfürchtig eingeschenkt hatte, hob der alte Herr sein Glas und sagte: „Trinken wir auf unsere Hunde, diese herrlichen Geschöpfe Gottes“.

 

Später erzählte er den beiden Frauen die Geschichte, die sein Leben veränderte:

 

Als junger Mann sei er, wie viele, nach Deutschland gegangen, er habe hart gearbeitet und mit seinem Ersparten in München eine kleine Tapasbar eröffnet. Mit einem kleinen Vermögen sei er nach Spanien, das ihm so fehlte, zurückgekehrt und er wollte alles, was dieses Land ausmacht und was er scheinbar verpasst hatte, nachholen.

 

„Wahrscheinlich wisst ihr, dass es in Ronda eine der ältesten  Stierkampfarenen des Landes gibt. Und ich habe keine Vorstellung ausgelassen. Und ich habe mit der Menge gebrüllt, wenn dem Stier das Blut über den Rücken lief und die Toreros ihren lächerlichen „Tanz“ mit dem roten Tuch zum Besten gaben. Es lebe hoch die alten Traditionen“, sagte er sarkastisch.

 

Und er fuhr fort:  „Ich habe gejagt, alles was mir vor die Flinte kam. Die Serranía de Ronda ist eine bizarre Berglandschaft. Kein Steinbock war vor meiner Büchse sicher. Ich habe sie gnadenlos verfolgt bis zu den gewagtesten Felsvorsprüngen, allein mit meinen Hunden unter der Aufsicht kreisender Steinadler.

 

Nichts und niemand konnte mich in dem Land meiner Väter daran hindern, bis zu dem Tag im November 2009, als  ich oberhalb der Schlucht Tajo del Abanico  auf eine Gämse schoss, durch den Rückstoß der Büchse das Gleichgewicht verlor und in die Tiefe stürzte.

 

 

 

Als ich mit unerträglichen Schmerzen aufwachte, hörte ich das Winseln eines Hundes. Es war der damals acht Monate alte Ara, der mir  in die Schlucht hinterher geklettert war. Er blieb bei mir, leckte mein  Gesicht, entfernte sich bis zum Ausgang der Schlucht und kläffte fürchterlich, wie es nur English Setter können“, meinte er spaßhaft.

 

Zwischendurch sei der kleine Setter zurückgekommen, um nach ihm zu sehen. Danach entfernte er sich wieder und verfiel in ein grelles Heulen, wie man es nur von jungen Wölfen kenne, aber er wich nicht von der Stelle.

 

Der Mann erzählte weiter, dass erst am nächsten Morgen beim Frühstück seine Abwesenheit zu Hause aufgefallen sei.

 

Seine Freunde hätten sofort einen Suchtrupp zusammengestellt, aber es hätte wohl Tage gedauert bis sie ihn in diesem unwegsamen Gelände gefunden hätten, wenn sie nicht schon aus der Ferne das Heulen des Hundes gehört hätten, der treu an seiner Seite ausharrte.

 

„Dieser Tag hat mein Leben verändert“, fügte der alte Herr noch hinzu.

 

Tiefes Schweigen. Die beiden Frauen versuchten dezent, sich die Tränen wegzuwischen, während der Mann lächelnd seinen Ara streichelte. Dieser nahm die Liebkosung wahr und wedelte als Dank ganz leicht mit seiner Rutenspitze.

 

Am späten Abend nahm der alte Herr, den alle ehrfürchtig Don Alfonso nannten, Hannah beiseite und fragte sie, ob sie ihn am nächsten Morgen begleiten wolle:

 

„Ich habe von Maria erfahren, dass Ihnen besonders Tiere, die Hilfe brauchen, am Herzen liegen.

 

Sie können mich ins Tierheim - so heißt es doch auf Deutsch, welch schöner Name - begleiten. Ich bringe zwei Mal in der Woche die Essensreste aus dem Restaurant dort vorbei. Aber ich warne Sie, es wird kein schöner Anblick sein“, fügte er noch hinzu.

 

Als Hannah Maren danach über die Unterredung berichtete, meinte diese nur, Don Alfonso habe wohl seine Gründe, dass er nur Hannah dabei haben möchte: „Wahrscheinlich hat er von Maria erfahren, dass ich schneller als du die Beherrschung verliere“, meinte sie.

 

Am folgenden Morgen holte Don Alfonso Hannah um halb neun von der Finca ab. Vorher bat er sie noch, Black bei Maren zu lassen.

 

Sie fuhren über staubige Schotterwege ins Niemandsland. Don Alfonso war an diesem Morgen recht einsilbig. Als Hannah sich über den Weg doch etwas zu wundern schien, meinte er nur, dass man die Perreras (eine Mischung zwischen Tierheim und Tötungsstation) in Spanien häufig in die Wildnis verbanne, um den honorigen Bürgern den Anblick von Elend zu ersparen. Nach einer halben Stunde kündigte sich durch ein ohrenbetäubendes Gebell schon von weitem  ein halbverfallener Hof, umgeben von einem Zaun aus verrosteten Baumatten, an.

 

Wortlos parkte er seinen Pickup vor der Einfahrt, drückte Hannah einen Eimer mit Fleischresten in die Hand, nahm selbst zwei weitere und ging in das Innere des Anwesens.

 

Zwei Männer, die am Eingang saßen, unterbrachen ihr Kartenspiel und grüßten mürrisch. Ohne ihnen Beachtung zu schenken ging Don Alfonso an ihnen vorbei, er verteilte wortlos das Futter in die Käfige, streichelte durch die Gitterstäbe die Hunde, soweit es ihm möglich war, und ging ohne ein Wort zu verlieren  wieder zurück und setzte sich in sein Fahrzeug.

 

Über Hannahs Verzweiflung beim Anblick all dieses Elends lassen sich kaum Worte finden und der Autor wird Hannas Gefühle nicht der Öffentlichkeit Preis geben.

 

Lediglich so viel:

 

Nach mehr als einer Stunde kam Hannah mit tränenüberströmtem Gesicht zurück. Sie trug eine alte, abgemagerte Setterhündin auf dem Arm. Das ergraute Gesicht  mit weißen Platten  und den wachen braunen Augen strahlte Würde und Weisheit aus.  Das verschmutzte Fell ließ am  Hals einen schwarzen Fleck durchschimmern.

 

Don Alfonso öffnete wortlos die Autotür. Er nahm ihr die Hündin ab und bettete sie auf den Rücksitz des Fahrzeugs. Danach nahm er Hannah fest in den Arm und sagte kaum hörbar: „ Podrías ser mi hija.Du könntest meine Tochter sein. Du bist bei uns immer willkommen.“

 

Schweigend fuhren beide zurück zur Finca. Maria war gerade dabei, Maren ihre Praxis zu zeigen, die sie sich in einem Nebengebäude auf dem Landgut ihrer Eltern eingerichtet hatte.

 

Als sie Hannah mit der Hündin auf dem Arm sahen, unterbrachen sie ihren Rundgang  und halfen Hannah, den alten Hund auf einen Behandlungstisch zu legen. Maren säuberte ihr das Fell, Maria desinfizierte eine Verletzung.

 

Hannah strich der alten Setterdame unentwegt über den Kopf und flüsterte: „Auch ohne den schwarzen Fleck hätte ich dich dort nicht zurückgelassen, das kannst du mir glauben.“

 

Don Alfonso stand hilflos daneben und meinte nur: „Bei einer Tierärztin und dos futuros doctores gibt es für einen alten Mann hier wohl kaum eine Verwendung. Er sagte  Adiós und verschwand.

 

In Wirklichkeit aber machte er sich auf die Suche nach Marias Vater, um mit diesem zusammen dem Bürgermeister einen Besuch abzustatten.

 

Wie Maria später berichtete, soll die Unterredung ziemlich lautstark verlaufen sein. Nach den Erzählungen einer Freundin,  die im Rathaus tätig war, soll Don Alfonso gedroht haben, sein Restaurant für  keine offiziellen Veranstaltungen der Stad in Zukunft  zur Verfügung zu stellen, wenn der Bürgermeister nicht die Schirmherrschaft für das heruntergekommene Tierheim übernehmen würde.

 

Fakt war, dass Maria von der Stadtverwaltung beauftragt wurde, wöchentlich einen Kontrollgang durchzuführen, ein Budget für tierärztliche Betreuung festgesetzt und dass das Töten gesunder, lebensfähiger Tiere untersagt wurde.

 

Maria meinte nur: “Bei uns wird sich vieles ändern, darauf habt ihr mein Wort.”

 

Als Hannah und Maren am Abend allein auf ihrem Zimmer waren, kehrte Stille ein. Black und Stella hatten  sich schon zum Schlafen zusammengerollt, nur die alte Hündin suchte noch nach einer Ecke um sich zu verkriechen, wie sie es wahrscheinlich gewohnt war.

 

Maren sagte plötzlich: “Weißt du eigentlich, dass die alte Dame keinen Namen hat? Jedem Lebewesen steht eine Identität zu.”

 

Hannah erwiderte: “Lass sie uns Ronda nennen, als Erinnerung an das Schöne dieser Region. Gegen das Finstere und das Leid muss man angehen und es dann aber vergessen. So als hätte es nie existiert.”

 

Vor dem Einschlafen, sagte Hannah noch: “Lass uns bitte Morgen schon Richtung Frankreich fahren”. Maren meinte schnippisch: “Du vermisst Pierre.”

 

Es folgte nur ein “Ja”. Dann schliefen die beiden ein und mit ihnen ihre drei Hunde.

 

Als sie am nächsten Morgen aufstanden, waren beide überrascht von dem Bild, das sich ihnen bot: Ronda lag eng an Black angeschmiegt auf dessen Decke. Marens verschlafener Kommentar: “ Schwarzer Fleck zu schwarzem Fleck, Stella sie haben dich ausgegrenzt, morgen schläfst du bei mir im Bett”drang nicht bis zu Hannah vor, da diese bereits dabei war, per Smartphone Pierre über ihre Abfahrt zu informieren.

 

Als sich Hannah mit einem “Bisous, bisous” (Küßchen, Küßchen) von Pierre verabschiedete, lästerte Maren weiter: “Stella, solltest du mal eine Tochter haben, wird sie natürlich Bisou heißen, welch schöner Name!” Auch das tat Hannah mit einem Schmunzeln ab.

 

Nach einem ausgiebigen Frühstück mit der Familie gingen die drei Frauen in Marias Praxis, um Rondas Verletzung noch einmal vor der Abfahrt zu verarzten. Diese ließ mit einem Gottvertrauen die Behandlung über sich ergehen.

 

Nachdem sie die reichliche Verpflegung, die Marias Mutter vorbereitet hatte, dankend in Empfang genommen  und sich von allen verabschiedet hatten, fuhren sie los.

 

Einige hundert Meter außerhalb der Finca bremste Hannah plötzlich, denn auf einem Feldweg stand ein grauhaariger Mann mit einem English Setter an der Leine. Es war Don Alfonso.

 

Ich will euch ”Adiós”  sagen . Er beugte er sich ins Auto, streichelte Black und Stella,  fuhr Ronda über den Kopf und sagte: “Du wirst es dort gut haben, viel besser als hier.” Er drückte Maren einen Kuss auf die Wange, dann nahm er Hannah in den Arm und flüsterte ihr zu: “Vuelve pronto mi hija” (“Komm bald wieder meine Tochter”).

 

Und wieder ging er, ohne sich noch einmal umzudrehen.

 

Hannah und Maren standen regungslos am Auto und ihre Blicke folgten dem alten Mann mit dem alten Hund bis er eins wurde mit dieser wilden Natur, dann fuhren sie los..

 

Zwei Tage später waren sie wieder in der Camargue in Frankreich.

 

Pierre wartete bereits in seiner Wohnung am Place Saint Louis in Aigues Mortes mit einem “apero dinatoire” (ein Aperitiv und im Anschluss ein üppiges typisch französisches  Abendessen). Marens Gedanken bei der Begrüßung der beiden kann der Leser bestimmt erraten.

 

Da die Hunde die letzten beiden Tage fast nur im Auto verbracht hatten, war vor dem Abendessen ein Spaziergang am Kanal angesagt. Die Setter plantschten ausgiebig im Wasser, Ronda hätte natürlich gerne mitgemacht, was ihren Verletzungen, die so langsam zu heilen begannen, nicht bekömmlich gewesen wäre. Darum musste sie an der Leine laufen.

 

Der alte Coup de Feu verspürte auch diesmal kein Interesse an dem feuchten Element und war bemüht Ronda zu beschnuppern, was die  alte Setterdame nicht unbedingt begeisterte.

 

Am nächsten Morgen fuhren die beiden Frauen weiter in Richtung Deutschland. Hannah wollte noch einige Tage bei ihren Eltern in Freistadt verbringen, während Maren mit Stella mit dem Zug weiter nach Gießen musste, da ein Praktikum auf sie wartete.

 

Hannahs Eltern waren „aus dem Häuschen“, als sie ihre Weltenbummler-Tochter wieder in die Arme schließen konnten.

 

Als sie Ronda sahen und über die Umstände erfuhren, wie diese zu Hannah kam, war ihr Vater sofort der Meinung, dass gegen die schrecklichen Zustände in diesen verwahrlosten Auffangstationen für Tiere etwas getan werden müsse.

 

Hannah hatte viel zu erzählen, sie berichtete über den alten Coup de Feu, natürlich auch über Pierre – ihre Mutter, die ihre Tochter doch gut zu kennen schien, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Später, als sie mit Hannah allein war, fragte sie ihre Tochter, ob sie ihr Französisch „auffrischen“ müsse?

 

Ihren neuen „Adoptiv-Vater“, Don Alfonso, erwähnte Hannah nur kurz, da sie wusste, dass ihr Vater sie mit niemandem auf der Welt teilen würde.

 

Als Hannah gerade dabei war über die Bürgerinitiative, die sie ins Leben gerufen hatten, zu berichten, kam Herr Kraus dazu, der an Ronda gleich einen Narren gefressen hatte. Er stellte auch sofort fest, dass diese ebenfalls den einzigartigen schwarzen Fleck am Hals hatte.

 

Hannah musste ihm versprechen, dass sie sich an ihn wenden würde, falls es mal bei ihr mit dem bevorstehenden Examen und zwei Hunden zu eng werden würde.

 

Nachdem Hannah sich überzeugt hatte, dass bei ihren Eltern die Welt  wieder „in Ordnung war“ und dass die alte Tara von den beiden nicht mehr wegzudenken sei, schnappte sie sich die Hunde und streifte mit ihnen durch die Natur. Nach so viel wilden, von der Sonne geprägten Landschaften des Südens sehnte sie sich nach den saftigen Wiesen und der Kühle ihrer Heimat.

 

In einem nahen Wäldchen fand sie die halbverwitterte Bank, der sie als Kind so oft ihren Kummer beichtete, wieder. Das satte, dunkle Grün des Dickichts  ging fließend in ein helles Farbenmeer über. Durch die Zweige der Wipfel schimmerte ein weißblauer Himmel. Dicke, alte Eichenstämme, wie für die Ewigkeit gemacht, ragten in den Himmel.

 

„Das würde Pierre auch gefallen, wenn er nur hier wäre“, schoss ihr durch den Kopf. Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, denn Black hatte ein Reh  in der Nase. Etwas weiter im Unterholz versuchte eine Rehmutter ihr Kitz in Sicherheit zu bringen. Das kleine Wesen auf seinen dünnen, wackeligen Beinen lief noch etwas unsicher der Geiß hinterher, die immer wieder anhielt, um nach den Hunden Ausschau zu halten.

 

Hannah nahm alle drei Hunde sofort an die Leine, denn dieses kleine Meisterwerk der Natur sollte nicht erschreckt werden.

 

Besonders Ronda war von dem mit feuchtem Moos überzogenen Waldboden besonders angetan, so dass sie sich sofort wieder ein Plätzchen in der Nähe der Bank suchte und als Hannah  mit ihrer „sonderbaren Meute“ wieder in Richtung Dorf laufen wollte, war Ronda nur schwer zu bewegen, diesen Ort zu verlassen.

 

„Vielleicht sollte ich sie doch für einige Zeit bei Herrn Krause lassen, bis der Examensstress in Gießen vorbei ist, denn hier fühlt sie sich scheinbar sehr wohl“, dachte Hannah.

 

Noch am gleichen Abend sprach sie mit Herrn Krause, dieser freute sich über Hannahs Vorschlag und bedankte sich für das Vertrauen, das sie in ihn setzte.

 

Hannah war gerade dabei ihre Koffer zu packen, um nach Gießen zu fahren, da erreichte sie eine Nachricht des netten Ehepaars  mit Setter und Dackel, das sie und Maren in Nordspanien getroffen hatten. Es war eine Einladung für den kommenden Samstag zu einem Settertreff im Odenwald. Hannah beschloss die Einladung anzunehmen und auf ihrer Fahrt einen Umweg zu machen.

 

Unweit des wunderschönen Barockstädtchen Amorbach traf sie auf einer Wiese am Bach auf die Settergruppe. Es schien, als wären mehr Hunde als Menschen hier, Black war begeistert und tobte sofort mit der restlichen Meute über die weitläufigen Wiesen. Hannah wurde herzlich begrüßt und fühlte sich sofort augenommen. Alle bemerkten zwar Blacks kleinen schwarzen Fleck, aber keiner störte sich daran, denn alle sahen, wie sehr Hannah diesen Hund liebte und wie glücklich beide waren. Und das war für diese Menschen das Wichtigste.

 

Als Hannah in der folgenden Woche endlich in Gießen ankam, gab es einiges nachzuholen, denn bis zum Staatsexamen waren es nur noch drei Monate.

 

Sie musste noch ein Praktikum absolvieren und  ihrer Zulassungsarbeit (“Genmutationen bei der Fellfarbe des Hundes”) den letzten Schliff verpassen. Diese musste rechtzeitig fertig sein, damit ihr Vater noch einmal korrekturlesen konnte.

 

Und da war auch noch die europäische Bürgerinitiative gegen das Töten von Tieren in Auffangsstationen.

 

Natürlich nahm ihr Maren in diesem Bereich viel Arbeit ab. Sie hatte, um Hannah zu entlasten, per Videokonferrenz mit Pierre die internationale Homepage erstellt, die mit einem Anhang zwecks Unterschrift versehen war.

 

Die Startseite zierte ein Foto von Ronda - der schwarze Fleck war deutlich zu sehen - mit einer kurzen Zusammenfassung ihres Leidensweges, gefolgt von einem ergreifenden Text:

 

Wir bitten alle tierlieben Menschen Europas, unsere Bürgerinitiative,  die an die Europäische Union eine klare Forderung stellt, zu unterstützen:

 

 “Setzen Sie dem Sterben unschuldiger Tiere  in zahlreichen europäischen Auffangstationen durch ein Gesetz, welches das Töten von lebensfähigen Tieren verbietet, ein Ende. Wir fordern die einzelnen Staaten auf, sich zu verpflichten, für die Ernährung und artgerechte Unterbringung dieser Tiere zu sorgen”.

 

Hannah und Maren hatten es geschafft, ihr Anliegen bei einer Studentenversammlung auf die Tagesordnung zu setzen und spontan meldeten sich junge Menschen aus anderen europäischen Ländern, die in ihrer Heimat für diese Forderung an die EU Unterschriften sammeln wollten.

 

Ein junger engagierter Luxemburger verkündete stolz, dass der Präsident der Europäischen Kommission a. D. Jean-Claude Juncker und seine Frau sicher zu den ersten zählen, die bereit wären  zu unterschreiben. Der kleine Mischling Peluso aus einem bayerischen Tierheim, der bei ihnen seit 2019 lebt, ist ihnen inzwischen ans Herz gewachsen.

 

Ach ja, wenn Black hätte sprechen können, hätte er bestimmt gemotzt, dass er bei all dem Trubel etwas zu kurz käme; so beließ er es bei einem Jaulen, oder war es doch ein verstecktes Knurren?

 

Der “interessierte Leser” würde natürlich gerne etwas über Hannahs Abschlussprüfung erfahren.

 

Erteilen wir ihrem Vater, dem honorigen Herrn Professor, bei der Feier im kleinen Kreise das Wort: “Natürlich bin ich sehr stolz, dass Hannah mit “summa cum lauda” bestanden hat, ich bin aber ganz glücklich, dass sie so ein wunderbarer Mensch geworden ist mit viel Empathie für alle hilflosen Geschöpfe unserer Erde.”

 

Die Frage, ob Pierre bei diesem Fest auch anwesend war, kann ich eindeutig mit “Ja” beantworten.

 

Als würden diese “frohen Botschaften” nicht ausreichen, muss ich noch “einen draufsetzen”.

 

Nachdem Hannah nach all den aufregenden Wochen endlich zur Ruhe kam, erreichte sie auf der Mailbox eine Nachricht  ihres Vaters: “ Guten Morgen “summa cum lauda” Tochter, in Freistadt ist seit gestern die Stelle des Amtstierarztes ausgeschrieben. Man sagt es gibt kaum vernünftige Bewerber. Bitte überlege es dir.”

 

Hannah brauchte nicht lange zu überlegen. Noch am selben Tag schickte sie ihre Bewerbungsunterlagen weg und sie hatte Glück, denn die Zeugnisse der anderen Bewerber konnten mit Hannahs Voraussetzungen nicht mithalten.

 

Zu Maren sagte sie: “Wenn ich etwas verändern will, jetzt habe ich die Möglichkeit”.

 

Und sie fuhr fort: “In meinem Berufsleben hat der Codex Veterinarius der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V., selbst wenn er nicht rechtsverbindlich ist, einen hohen Stellenwert.  Auch für mich steht  fest, dass Tiere einen Eigenwert und damit eine Würde besitzen, die respektiert werden muss. Ich werde nach bestem Wissen und Gewissen die Interessen der Tiere vertreten und nicht die seiner Halter oder Nutznießer“.

 

Zwei Wochen später klingelte es morgens an der Tür der Familie Glotz.

 

Herr Glotz war noch im Schlafanzug und schon  zu scherzen bereit: “Ach unsere Frau Dr. Hannah, wir haben es natürlich erfahren, welch ein Glück für uns, wir werden uns mit der Frau Amtstierärztin schon vertragen.”

 

Hannah überreichte ihm wortlos ein Schreiben.  Er überflog das Schriftstück, und begann mit hochrotem Kopf zu stottern:

 

“Hannah, kleine Hannah, du willst mir meine Zuchtstätte schließen? Mädel, denk an unsere Freundschaft”.

 

Aber ganz plötzlich veränderte sich sein Ton und er brüllte vor Zorn: 

 

“Das kannst du nicht tun, ich bin Präsident, ich habe juristische Berater, mein Wort hat Gewicht.”

 

Er holte Luft und fuhr fort: “Ich habe meinen Beruf gekündigt und lebe von der Hundezucht, die Raten für den Jeep sind im nächsten Monat fällig und die Jagdpacht auch.”

 

Hannah beeindruckte das Gebrülle überhaupt nicht, sie sah zu den Zwingern, wo sich winselnde Hundeschnautzen durch die verrosteten Gitterstäbe zwängten. Eine Träne lief ihr über die Wange.

 

“Es ist amtlich” sagte sie mit fester Stimme. Sie  drehte sich um und verließ das Grundstück.